Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
sondern
auch von seinen Eltern.
Wir wissen überhaupt nicht, was los ist. Kommst Du oder kommst
Du nicht? Doch unsere Meinung mischt sich jetzt mit einigem Vorwurf, den wir
uns wegen unserer Vorstellung machen. Du bist ja der Hauptbeteiligte, der die
gefährliche Fahrt zu machen hat, und hast vielleicht das richtige Empfinden im
Augenblick zu fahren, dem wir mit unserem gegenteiligen Rat einen Stoß versetzt
haben. Du kannst Dir denken, wie sehnsüchtig wir unter diesen Umständen deine
Nr. 46 erwartet haben, die uns jetzt sicher nachgeschickt wird. Briefe
benötigen aber in der letzten Zeit auch innerhalb Deutschlands eine Woche.
Hoffentlich läuft alles gut ab, und wir haben uns mal wieder unnötige Sorgen
gemacht. Für alle Fälle sprechen wir Dir schon mal an dieser Stelle unsere
herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag aus. Es liegt dafür diesmal ein
besonderer Anlass vor, weil du am 17. Dezember dreißig Jahre alt wirst und
wirklich manchen Sturm erlebt hast.
Helmut ist betrübt, dass die Eltern noch nicht wissen,
dass der Heimaturlaub längst beschlossene Sache ist. So kommen sie um die
Vorfreude. Er selbst weiß, dass die Fahrt nach Deutschland nicht ungefährlich
sein wird. Aber Hauptsache, er kann seine Eltern wiedersehen.
Vor seiner Abreise will er aber zunächst unbedingt noch einmal
Lillian treffen, auch um mit ihr seinen 30. Geburtstag zu feiern. »Auf dem Weg
nach Narvik mache ich einen Umweg und komme abends mit dem Bus nach Harstad«,
hat er ihr am Telefon gesagt. »Ohne dich gesehen zu haben, fahre ich nicht nach
Wuppertal.«
Lillian läuft nach dem Dienst schnell nach Hause, um sich für Helmut
noch einmal hübsch zu machen. Um zehn vor sechs ist sie an der Bushaltestelle
in der Innenstadt. Ein paar Leute stehen im Schnee und warten, darunter zwei
Feldjäger – für Lillian leicht an dem Metallschild mit der Aufschrift Feldgendarmerie zu erkennen, das sie an einer Kette um den Hals tragen. Da ist auch schon der
Bus. Und Helmut, der hinter der Scheibe winkt. Lillian will zu ihm, aber im
selben Moment sind schon die beiden Feldgendarme bei Helmut, packen seine Arme
und führen ihn ab. Lillian schläft die ganze Nacht nicht.
Am nächsten Morgen erfährt sie auf der Kommandantur, warum man den
Obergefreiten Crott abgeführt hat.
»Hat sich unerlaubt von der Truppe entfernt. Ist nach Harstad
gefahren, obwohl er nur Genehmigung für Narvik gehabt hat. Muss jetzt für drei
Tage hier in den Bau. Sollten sich von dem Mann fernhalten, Fräulein Berthung!«
Nach drei Tagen endlich ein Anruf von Helmut.
»Ich muss jetzt auf direktem Weg nach Narvik und darf keine Stunde
länger in Harstad bleiben. Kannst du gleich zur Haltestelle kommen?«
Lillian verlässt unter einem Vorwand die Kommandantur und läuft so
schnell sie kann zur Busstation. Zum Glück hat sie die Weihnachtsgeschenke für
Helmut und seine Eltern zur Arbeit mitgenommen, um sie Helmut jederzeit
überreichen zu können.
»Pass på deg, lille venn!«
Sie umarmen sich fest.
»Ja, ich pass auf mich auf. Du wirst mich nicht mehr los«, lacht er.
Dann wird er ernst. »Lillian, du gibst mir so viel Kraft und Vertrauen. Das ist
für mich ganz neu.« Genauso ernst und eindringlich kommt von ihr auf Deutsch:
»Ich liebe dich, Helmut.«
Ein paar Minuten später ist der Bus mit ihm verschwunden.
Abbildung 21
Im Januar – Helmut ist noch nicht zurück – erhält Lillian
einen Brief aus Friesoythe, wo Heinz und Carola Crott nach der Bombardierung
vorübergehend bei Verwandten untergekommen sind:
Liebe kleine Hun, nun sind die vielen
Festtage vorüber, und es wird allmählich Zeit, der lieben Kameradin unseres
Sohnes für die Aufmerksamkeiten zu danken, die sie auch den Eltern anlässlich
des Weihnachtsfestes erwiesen hat … Den Kern des einen Päckchens, eine schön
duftende Zigarre, habe ich sogleich mit dem norwegischen Streichholz aus dem
anderen Päckchen in Brand gesetzt … Nicht minder hat sich meine Frau über die
schönsinnigen Geschenke gefreut, die sie sogleich in unserem Notheim
untergebracht hat. So steht das Kästchen mit der »Trondendes Kirke« in stets
sichtbarer Nähe auf dem Buffet und wird meine Frau und auch mich während meines
Hierseins täglich an die ferne Hun erinnern. 56
Post aus Heidelberg
Oktober 2010
Ich erhalte Post von der Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg, und nach der Lektüre klären sich für mich manche Fragen. Aber
zunächst einmal bekomme ich einen Schrecken. In dem
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