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Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Titel: Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lillian Crott Berthung , Randi Crott
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Er
protestierte gegen SA -Posten vor den Hörsälen nach
einem Aufruf des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes zum Boykott
der Vorlesungen nichtarischer Professoren und kuschte nicht vor der Gewalt. »In Engischs Werken ist nichts zu finden,
was den Nazi-Machtmachern zum Munde geredet hätte. Er gehörte zu den wenigen,
die die Selbständigkeit der juristischen Methode gegen den braunen Geist, der
alles, auch die Rechtswissenschaft, zu durchdringen suchte, verteidigte.« 58
    Ob das der Grund dafür ist, dass in der Doktorarbeit meines Vaters
einige denkwürdige Formulierungen erscheinen? Statt auf den Führer und das
Führerprinzip bezieht sich mein Vater auf »die Führung«, einen von der
Führerideologie abweichenden Begriff, deren subversiven Grundton ein anderer
Doktorvater vielleicht rot angestrichen hätte.
    Der Hochschullehrer Karl Engisch gab meinem Vater die Möglichkeit,
sein Jurastudium mit einem Titel abzuschließen, indem er sich über die
Empfehlung des Reichserziehungsministeriums hinwegsetzte, »nationales
    Empfinden zu zeigen und keine Juden als Doktoranden anzunehmen« 59 .
    Es wird meinem Vater sehr viel bedeutet haben, dass dieser Professor
ihn angenommen hat. In seinem Heidelberger Studienbuch lag noch eine Postkarte
von Engisch. Sie muss für ihn, der sonst kaum etwas aufzuheben pflegte, etwas ganz
Besonderes gewesen sein. In dem Schreiben macht Engisch meinen Vater auf ein
mögliches Thema für die Doktorarbeit aufmerksam und gibt Ratschläge zur
Lektüre. Vor allem aber heißt es in der Anrede, und das war vielleicht noch
viel wichtiger, »Sehr geehrter Herr Crott«.

Hausdurchsuchung
    Februar 1944
     
    »Morgen müssen Sie mit der Feldgendarmerie als
Dolmetscherin bei einer Hausdurchsuchung dabei sein, Fräulein Berthung. Es gibt
eine ganze Reihe von Diebstählen, und wir müssen die Täter finden.«
    Mit Schrecken hört Lillian von Unteroffizier Ascher, wie man sie
einzusetzen gedenkt. Sie ahnt, was eine solche Hausdurchsuchung bedeutet.
    »Um 9 Uhr geht das Motorboot. Seien Sie pünktlich!«
    Sie dreht sich von seinem Schreibtisch weg und fühlt, wie er ihr
wieder nachschaut. Lillian sind die Blicke des Unteroffiziers unangenehm.
Genauso wie seine ständigen Versuche, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Vor
allem über Dinge, die ihn nichts angehen. Neulich wollte er sogar wissen,
welche Kleidergröße sie hat.
    Eine Stunde später muss sie noch einmal in das Dienstzimmer von Ascher,
um ihn etwas unterschreiben zu lassen. Ascher telefoniert gerade, als sie
eintritt. Lillian sieht auf seinem Schreibtisch den Befehl für die
Hausdurchsuchung liegen. Es gelingt ihr, den Namen zu lesen. Sie kennt diese
Familie. Die Leute wohnen auf der anderen Seite des Fjordes. Ob es noch möglich
ist, sie zu warnen?
    Ascher hat sein Gespräch beendet. Er unterschreibt das vorgelegte
Formular. Lillian darf wieder zurück in das Geschäftszimmer. Auf die
Übersetzung, die heute noch fertig werden soll, kann sie sich nicht
konzentrieren. Stattdessen greift sie nach dem Telefonbuch und sucht die Nummer
der Familie. Aber die scheint kein Telefon zu haben. Vielleicht der Nachbar?
Der Lehrer Finseth? Lillian findet Finseths Namen tatsächlich im Telefonbuch
und schreibt die Nummer auf einen kleinen Zettel, den sie in ihrer Handtasche
verschwinden lässt. Aber von wo aus soll sie anrufen? Von der Kommandantur?
Unmöglich.
    Es dauert noch eine Stunde, bis das Büro schließt. Lillian ist nervös
und aufgeregt. Sie muss versuchen, die Familie zu warnen! Falls man dort etwas
findet, würden alle verhaftet werden. Von zu Hause kann sie auf gar keinen Fall
anrufen, denn vielleicht werden ja auch private Gespräche abgehört. »Ich muss
zum Telegrafenamt«, beschließt sie. Einige Minuten nach Dienstschluss steht sie
vor dem Gebäude im Zentrum der Stadt. Es ist dunkel, Wind und Schneeregen
peitschen durch die Straßen. Außer der Angestellten hinter der Theke ist
niemand im Raum. Lillian gibt der Frau die Nummer. Dann geht sie in eine der
Kabinen. Sie hört, wie es am anderen Ende der Leitung läutet, dann meldet sich
die Frau des Lehrers.
    »Guten Abend, Frau Finseth, können Sie bitte so freundlich sein und
Ihre Nachbarin Frau Borgens ans Telefon holen? Ich muss wirklich sehr dringend
mit ihr sprechen.«
    Lillian fühlt, wie ihre Hand zittert. Als Frau Borgens endlich ans
Telefon kommt, verstellt Lillian ihre Stimme: »Frau Borgens, Sie und Ihre
Familie bekommen bald Besuch, vielleicht schon morgen früh.

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