Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
Umschlag sind auch kopierte
Dokumente zur »Geschichte der jüdischen Studenten« – einer Ausstellung der
Universität aus dem Jahr 2002. Das Exponat 178 in Vitrine 26 zeigt eine
»Namensliste der jüdischen Studenten 1934«. Unter Nr. 7 steht »Crott, Helmut
jur.«
2002 lebte mein Vater noch. Er hat – dessen bin ich mir sicher – von
der Ausstellung in Heidelberg nichts gewusst. Wie hätte er wohl reagiert, wenn
er von dieser Liste erfahren hätte, die sogar im Internet abrufbar ist?
In den Unterlagen aus Heidelberg befinden sich außerdem Kopien von
Briefen, in denen mein Vater den Rektor der Universität um die Zulassung zum
Studium bittet. So schreibt er 1935:
Als Christ nicht rein arischer Abstammung war ich bereits im Sommersemester
1934 immatrikuliert. Ich bitte, mich zur Fortsetzung meines Studiums in
Heidelberg erneut zuzulassen.
Und 1936, also nach den Nürnberger Gesetzen :
Als Mischling 1. Grades (vorl. Reichsbürger) bitte ich, mein Studium
an der Universität fortsetzen zu können.
Was muss wohl in ihm vorgegangen sein, als er sich gezwungen
sah, diesen Brief zu schreiben? Und wie wird er sich gefühlt haben, als er
seine »Mischlingseigenschaft« angeben musste, diese von den Nationalsozialisten
verordnete neue »Identität«?
Die an der Universität Heidelberg
immatrikulierten jüdischen Studenten konnten seit dem Sommersemester 1933 nur
unter erheblichen Einschränkungen ihr Studium fortsetzen. Als ›nicht arische‹
Hochschüler waren sie aus der »Deutschen Studentenschaft« ausgeschlossen und
verloren zunehmend ihre Rechte: die Unterstützung durch das Studentenwerk
(1933), Prüfungszulassung (Einschränkungen seit 1934), schließlich das Promotionsrecht
(1937).
Durch das Wirken überzeugter Regimeanhänger
erhielt Heidelberg nach 1933 schon bald den Ruf einer ›braunen‹ Universität. An
die Stelle des einst »lebendigen Geistes«, wie von Friedrich Gundolf im
Leitspruch der Universität formuliert, trat mit Unterstützung der
Universitätsleitung im Verlauf der 30er Jahre der »deutsche Geist«. Über
Zweidrittel des Lehrkörpers waren Mitglieder der NSDAP. 57
Deshalb verlassen mehr als die Hälfte jener »Nichtarier« bereits
im Herbst 1933 die Hochschule, für das Wintersemester haben sich nur noch 79
eingeschrieben, im darauf folgenden Sommersemester 1934 sind es nur noch 63,
darunter auch mein Vater.
Nach der juristischen Zwischenprüfung wechselte er im Sommer 1934 von
Frankfurt nach Heidelberg, um schon ein Semester später nach Köln zu gehen –
und dann nur mit dem Studienfach Betriebswirtschaft.
Warum dieser Wechsel? Und warum plötzlich kein Jura mehr?
Diese Merkwürdigkeiten im akademischen Lebenslauf meines Vaters haben
ihre Ursache in den neuen nationalsozialistischen Gesetzen und Erlassen. Das
verstehe ich jedoch erst ganz, als ich eine Nachricht von Prof. Dr. Klaus-Peter
Schröder vom Heidelberger Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft
(Germanistische Abteilung) erhalte:
Nach der am 22.7.1934 erlassenen
Reichsjustizausbildungsordnung waren Studierende nichtarischer Abstammung von
den beiden Staatsexamina ausgeschlossen. Einzig die Promotion – da die
Doktorarbeit nicht mit einem Beamtenstatus verknüpft war – verblieb ihnen als
Möglichkeit eines gewissen Studienabschlusses: Die Ablegung der Staatsexamina
gehörte nicht zu den Zulassungsvoraussetzungen, wohl aber ein zweisemestriges Studium
an der Heidelberger Universität und die Anfertigung von vier Klausuren.
Die Reichsjustizausbildungsordnung hatte also für
meinen Vater zur Folge, dass er als »Halbjude« weder Richter, Anwalt, Notar
noch Syndikus werden oder anderweitig in den Staatsdienst treten konnte, weil
ihm die Voraussetzungen dazu, nämlich die Staatsexamina, fehlen. Das wird er
also damit gemeint haben, als er mir 2008 im Krankenhaus sagte, dass er »von
der Universität runter« musste. Im Sommer 1934 gab es für ihn zunächst in
Heidelberg keine Möglichkeit, das juristische Studium mit einem Examen
abzuschließen. Daraufhin ist er nach Köln gewechselt und hat sich auf
Betriebswirtschaft konzentriert. Dort muss er dann erfahren haben, dass es für
ihn in Heidelberg noch die Möglichkeit einer Promotion in Jura gibt. Bei
Professor Dr. Karl Engisch.
Ich möchte mehr über diesen Professor wissen und finde in der
Süddeutschen Zeitung seinen Nachruf. Darin wird erwähnt, dass Engisch trotz
seiner NSDAP -Mitgliedschaft aufrecht blieb.
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