Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
rechnet damit,
daß russische Flugzeuge auftauchen werden, wenn sich der Hauptstrom unserer
Truppen nach Süden bewegt. Mein größter Wunsch ist, dass Du in Sicherheit bist.
Ich zerbreche mir den Kopf, welche Reisemöglichkeiten Du hättest. Versuch doch
einmal, ob du nicht als Helferin bei einem eventuellen Kindertransport durch
Schweden dabei sein kannst. Meiner Meinung nach ist das die sicherste Reiseroute.
Mit dem Bus auf glatten und schlechten Straßen über das Gebirge ist zu
anstrengend, und man muß mit mehreren Übernachtungen unterwegs rechnen. Eine
Schiffsreise ist wegen der Minen- und U-Boot-Gefahr das Letzte, was ich mir
vorstellen kann. Wir müssen der Realität ins Auge sehen, wir werden für längere
Zeit getrennt sein. Aber wir wissen, meine liebste Lillian, daß wir aufeinander
warten werden und eine höhere Macht uns beschützt. Ich bin in Gedanken
bei Dir, heute und immer. Dein Helmut.
Helmuts Mutter wird deportiert
September 1944
Nach den Deportationen zwischen Herbst 1941 und Sommer
1942 leben nur noch Juden in Wuppertal, die mit einem »arischen« Ehepartner
verheiratet sind oder einen »arischen« Elternteil haben. Wuppertal gehört zum
Gestapo-Bezirk Düsseldorf, und dort gilt im September 1944 unter dem Druck der
herannahenden Front der Alliierten der sogenannte »Gutenberger-Befehl«.
Der » HSSPF « (Höherer SS - und Polizeiführer) Karl Gutenberger hat aufgrund der
durch die Kriegsfolgen immer schwieriger werdenden Verkehrs- und
Kommunikationslage von Reichsführer- SS Heinrich
Himmler die direkte Befehlsgewalt erhalten. Gutenberger verfügt, »sämtliche in den Regierungsbezirken Köln,
Düsseldorf und Aachen verbliebenen Juden zusammenzufassen und zu erschießen. Der
Befehl wurde vom Chef der Düsseldorfer Gestapo, Gustav Nosske, und dem
Inspekteur der Sicherheitspolizei im Wehrkreis VI, Walther Albath, jedoch nicht
ausgeführt.« 62
Am 17. September 1944 steht die Gestapo mittags vor der Tür des
Hauses in Wuppertal, in dem Heinz und Carola Crott nach der Bombardierung bei
Bekannten untergekommen sind. Die Männer in den langen schwarzen Mänteln teilen
Carola Crott, geborene Callmann, mit, dass sie ihre Sachen zu packen hat und
sich bis 16 Uhr zum Abmarsch fertig machen muss.
Heinz Crott ist erst acht Tage später in der Lage, dem Sohn zu
berichten, was seiner Frau und ihm an jenem Tag widerfahren ist. Er muss das in
verschlüsselter Form tun, weil er natürlich weiß, dass die Zensur im ganzen
Reich mitliest. Und da die Feldpost bis nach Norwegen nun vier Wochen braucht, erfährt
Helmut erst Ende Oktober, dass seine Mutter deportiert worden ist:
Mein lieber Helmut, schon längst hätte ich Deine Nr. 31
beantwortet, aber meine Stimmung war nicht dazu. Du kennst doch die Frau, die Du
von jeher die halbe Portion nennst??? Denk Dir nur, sie ist vergangenen Sonntag
ganz unerwartet zum Arbeitseinsatz von der Adolf-Hitler-Str. herangezogen
worden. Um 13 Uhr kam der Bescheid, und um 16 Uhr musste sie schon mit 10 kg
Gepäck, Lebensmittelkarten und für 3 Tage Marschverpflegung antreten. Ihr Mann
hat sie begleitet und ist auch mit nach Düsseldorf gefahren, von wo der Zug am
nächsten Tage nach Thüringen abgegangen ist. Frau W. und verschiedene andere,
die zufällig außerhalb waren, sind bisher nicht weiter behelligt worden, aber
aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Es liest sich hier so nüchtern, aber
das Drum und Dran von Sonntagmittag bis Montagmorgen war für Frau und Mann
gräßlich, zumal auch der Aufenthalt während der letzten Nacht in Düsseldorf
alles andere als menschenwürdig war.
Was soll die Frau, die stets umhegt wurde, nun arbeiten?? Vom
Bestimmungsort liegt noch keine Nachricht vor. Nur ist eine Karte von unterwegs
eingegangen, aus der hervorgeht, daß sie sogar, wohl zufällig, in der zweiten
Klasse befördert werden, aber unter großem Durst leiden. Der Mann von der
halben Portion hat sich schon mit 8–10 Herren in gleicher Lage in Verbindung
gesetzt, die sich alle in hervorragender Position befinden. Ein leitender Herr
eines hiesigen großen Werkes, ein Dr. chem., ferner ein Fabrikant und noch 2–3
Leute gehören zum engeren Stab, die alles versuchen werden und jedenfalls die
Augen offen halten. Schade nur, daß die Frau so pessimistisch war und keinerlei
Hoffnung aufbringen konnte. Du warst ja immer ihr besonderer Verzug, und ihr
letzter Gruß vor dem Abschied von dem Ehemann galt Dir!!!
Führerbefehl
Herbst 1944
Im Oktober 1944
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