Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
vor der Karte an der Wand
stehen geblieben. Lillian sieht, wie sie die Stecknadeln mit den roten Köpfen,
die die Frontlinie zeigen, umstecken. Dann verlassen auch sie die Kommandantur.
Ulvall sieht ihnen nach. Dann sagt er leise zu Lillian: »Es dauert nicht mehr lange,
bis der Krieg zu Ende ist.« Er stellt sich dicht vor sie und flüstert ihr
triumphierend zu: »Hast du von Köln gehört? Von Hamburg, Kassel und dem
Ruhrgebiet? Sie leben nur noch in Ruinen, deine Deutschen …«
Lillian schaut auf die Uhr. »Ich muss runter in den Keller zu Iwan.
Ich hab ihm heute Kartoffelkuchen mitgebracht. Und Wollhandschuhe von meiner
Mutter.«
Auf dem Weg nach unten geht ihr das, was Ulvall gesagt hat, nicht
aus dem Sinn. In Deutschland sind auch Helmuts Eltern.
Sie faltet ihre Hände.
Helmut bekommt einige Tage später Post aus Wuppertal:
Mein lieber Helmut, soeben kommt das Geburtstagspäckchen an,
Junge, wie hast Du das nach 5 Jahren Krieg noch fertiggebracht? Solche Zigarren
wie die jetzt von Dir gespendeten habe ich seit langem nicht mehr zu Gesicht
bekommen. Das weiterhin ausgewählte Buch entspricht ebenfalls so ganz meinem Geschmack.
Bleiben noch die Rasierklingen. Für die nächsten Wochen und sogar Monate
besteht nunmehr die berechtigte Aussicht, das Rasieren nicht mehr als Qual zu
empfinden, wie es mit den schlechten Klingen letzthin der Fall war.
Alles in allem also Sieg der Organisation auf der ganzen Linie,
und nicht nur das, sondern die Hauptsache, mit von mir dankbar anerkannter
Liebe zusammengestellt.
Der Krieg spitzt sich offenbar immer mehr zu einer schnellen Entscheidung
zu. Im Westen tobt die Schlacht mit von Tag zu Tag sich steigernder Heftigkeit.
Alles spricht in den letzten Tagen von der V 2. Schon bald müßte wirklich etwas
kommen, was den Karren entscheidend herumwirft, sonst sieht es blümerant aus,
denn im Osten bedarf der Russe offensichtlich auch nur einer kurzen Atempause.
Was wird aus Finnland werden? Springt der Finne ab, hat das nicht seine
Rückschläge auf die norwegische und da insbesondere auf die nordnorwegische
Front? Uns klopft jedenfalls schon dauernd das Herz … Nun noch viele herzliche
Grüße für die kleine Hun und insbesondere für Dich. Dein dankbarer
Alter.
Die Politik der verbrannten Erde
Nachdem die Wehrmacht bis zum Sommer 1942 an allen Fronten
Sieg um Sieg errungen hat, bringt die Niederlage von Stalingrad im Januar 1943
die Wende. Im Verlauf des Jahres 1944 verschieben sich die Fronten. Diesmal
nicht nach außen, sondern nach innen, in Richtung Heimat.
Auch an der finnischen Front hat sich die Lage zum Nachteil der
Deutschen verändert. Zuvor hatte Finnland an der Seite der Wehrmacht gegen die
Sowjetunion gekämpft. Für die Finnen war dies zunächst ein »Fortsetzungskrieg«
des Winterkrieges von 1939/1940 gewesen, an dessen Ende sie wichtige Gebiete an
die Sowjetunion hatten abtreten müssen.
Diese Gebiete sollen nun mit Hilfe der Deutschen zurückerobert
werden. Allerdings macht das stetige russische Vorrücken den Finnen Angst vor
einer sowjetischen Besetzung ihres Vaterlandes. So kündigt Feldmarschall Gustav
Mannerheim im September 1944 die »Deutsch-Finnische-Waffenbrüderschaft« 60 auf und fordert, alle deutschen Truppen aus dem finnischen Staatsgebiet
innerhalb von zwei Wochen abzuziehen. Andernfalls würden diese Einheiten
entwaffnet und Stalin übergeben werden.
Empört über den finnischen Verrat, gibt Hitler den Befehl, alle
Brücken und Straßen zu sprengen und Geiseln zu nehmen. Auf ihrem Weg zurück
hinterlässt die abziehende 20. Gebirgsarmee eine Spur der Zerstörung.
Nachdem norwegischer Boden erreicht ist und sich die deutschen
Finnland-Kämpfer mit den deutschen Norwegen-Kämpfern vereinigt haben, wird der
bisherige Befehlshaber, der Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst, von Lothar Rendulic,
dem Befehlshaber der 20. Gebirgsarmee, abgelöst. Rendulic befürchtet ebenso wie
Reichskommissar Terboven das Nachrücken der Sowjets auf norwegisches Gebiet.
Die Russen sollen deshalb zwischen dem Lyngenfjord und der Grenze zu Schweden
aufgehalten werden. Alles, was nordöstlich davon liegt, wird aufgegeben. Den
Preis zahlen die Menschen, die dort leben. Sie, ihre Tiere, ihr Besitz und ihre
Häuser werden Opfer der »Operation Nordlicht«. Aus Berlin kommt für die beiden
Provinzen Nord Troms und Finnmark folgender Befehl:
Alle Anlagen, die dem Gegner von Nutzen sein
könnten, sind nachhaltig zu zerstören, insbesondere
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