Erzaehl es niemandem
Die
meisten wählen Kaffee, denn Norweger lieben Kaffee und trinken ihn eigentlich
rund um die Uhr. Im Sommer auch nach Mitternacht, wenn die Nächte im Norden
hell sind und man sowieso nicht ins Bett will.
Während des Fluges schaue ich immer wieder dorthin, wo der schwarze
Rucksack mit der Urne liegt. Als ich der Frau am Schalter der SAS in Oslo die Überführungspapiere gezeigt hatte, war ihr warmer Blick für mich
fast wie eine Umarmung gewesen.
Meine Mutter sitzt mit geschlossenen Augen neben mir und greift ab
und zu nach meiner Hand. Mir tut es weh, dass sie so traurig ist, und ich
merke, wie sich ihre Trauer über meine eigene legt.
Wir fliegen nach Harstad, einer Hafenstadt auf Hinnøy, der größten
Insel Norwegens, 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, denn jetzt gilt es
das zu tun, was sich meine Eltern schon vor vielen Jahren gegenseitig
versprochen hatten: dass ihre Grabstätte einmal dort sein wird, wo sich das
norwegische Mädchen und der deutsche Soldat kennengelernt und ineinander
verliebt hatten. Da war sie 19 und er 28. Wie oft hatten sie in all ihren
Ehejahren darüber gesprochen, wer wohl als Erster auf dem Friedhof von
Trondenes liegen würde. Nun wird die Asche meines Vaters als Erste ihren Platz
unter dem Gras des Friedhofs finden. Genau an der Stelle, die sich die beiden
ausgesucht hatten. Von dort geht der Blick weit über das Meer zu den anderen
Inseln und zum Festland mit seinen Bergen, die erhaben und unbeugsam aus dem
Wasser ragen. Es ist ein Ort, von dem man gar nicht mehr fort will, ein guter
Ort, um für immer zu bleiben.
Mein Vater ist vor sieben Monaten, am 7. Dezember 2008, gestorben,
aber wir mussten warten, bis der Schnee in Harstad geschmolzen und die Erde nicht
mehr gefroren ist.
Fast wäre es mit der ausgesuchten Grabstelle nichts geworden, denn
auf dem Friedhof in Trondenes gibt es kaum noch Platz. Aber in der
Friedhofsverwaltung hat man sich sehr dafür eingesetzt, dass mein Vater noch
eines der letzten Urnengräber bekommt – als einziger Deutscher. Ob es wohl
Norweger gibt, die das unpassend finden? Gerade dieses Gelände rund um den
Friedhof erinnert so sehr an die deutsche Besatzung vor 70 Jahren. Etwas weiter
oben auf der Anhöhe befindet sich immer noch die großkalibrige Adolfkanone.
Eigentlich heißt sie ja Barbara,
diese größte landgestützte Kanone der Welt, so ist sie jedenfalls 1942 von der
deutschen Wehrmacht benannt worden. Aber die Norweger haben einen besseren
Namen dafür gefunden.
Unterhalb des Friedhofs steht ein Denkmal für die zu Tode gekommenen
russischen Kriegsgefangenen, und 500 Meter weiter liegt das lang gestreckte
weiße Gebäude der Folkehøgskole, das 1940 von den Deutschen beschlagnahmt
wurde. In diesem Gebäude hat auch mein Vater 1941 als Obergefreiter der
Wehrmacht seine erste Unterkunft in Harstad gefunden. Drei ahnungslose
Kilometer entfernt von der Frau, mit der er einmal sein Leben teilen würde.
Ohne Hitler und seine Feldzüge gäbe es mich nicht. Welches Gefühl
ist für so einen Fall reserviert? Ich bin auf der Welt, weil meine norwegische
Mutter sich in einen deutschen Besatzungssoldaten verliebt hat. Aber es gibt
noch etwas anderes, das mir lange verschwiegen worden ist.
Ich presse meine Stirn ans Fenster und schaue in den blauen Himmel.
Bist du da irgendwo, Paps? Warum hast du nie mit mir darüber geredet, warum
hast du mich nicht ins Vertrauen gezogen? Wolltest du nicht, weil alles so weit
zurücklag? Oder konntest du nicht, weil es dich immer noch gequält hat?
Vielleicht wolltest du deine kleine Tochter ja auch schützen. Vor Hass,
Ohnmacht und Wut.
»Es gibt Fragen, auf die die Antwort zu geben unmöglich ist«, sagt
der ungarische Schriftsteller Imre Kertész, »doch ebenso unmöglich ist es, sie
nicht zu stellen.« 1
Meine Mutter hat schon vor langer Zeit damit begonnen, ihren Teil
der Geschichte aufzuschreiben. Eine norwegisch-deutsche Liebesgeschichte, die
sich immer so gefühlvoll und spannend erzählen ließ. In der aber, was ich viele
Jahre nicht wusste, etwas Wesentliches fehlte.
Im kleinen Oval des Fensters taucht die markante Bergkette der
Lofoten auf. Das bedeutet, dass es nicht mehr weit bis Evenes ist. Unsere
Maschine senkt sich sanft nach unten. »Vi går nu inn for landing på Harstad-Narvik-Evenes
lufthavn. Vi ber dere feste sikkerhetsbeltet og rette opp stolryggene.«
Bitte kommen sie in Zivil!
Harstad, März 1942
John Berthung kann nicht ahnen, was später einmal aus der
Einladung
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