Erzaehl es niemandem
in
die Wohnung holt, soll dies auch ein wenig eine Wiedergutmachung für diese
Dienste sein.
Helmut Crott tritt ans Fenster und sieht den Leuten auf der Straße
zu. Da gehen sie und leben sie – Mr Smith und Ms Smith, Mr Brown und Ms Brown,
Mr Miller und Ms Miller, Menschen, für die es keine Rolle spielt, dass sein
Vater 1912 ein Mädchen aus jüdischer Familie geheiratet hat. Hier in London ist
alles so angenehm normal. Aber wenn er in Wuppertal Tante Tetta aus dem
jüdischen Altenheim in der Königstraße abholt, dann muss er sich jedes Mal erst
umsehen, bevor er die Stufen zum Eingang hochgeht. Jetzt heißt die Straße auch
nicht mehr nach dem König, sondern »Straße der SA «.
Zum Glück heißt die Blumenstraße noch Blumenstraße, doch selbst der
kurze Weg zurück zur Wohnung seiner Eltern kommt ihm jedes Mal wie ein
Spießrutenlauf vor. Vor allem, weil die Dienststelle der Geheimen Staatspolizei
in der Luisenstraße nicht weit ist.
Der Tante geht es ähnlich. Kaum dass die Tür ins Schloss gefallen
ist, sinkt Tetta in den Lehnstuhl am Nähtisch und braucht erst einmal ein Glas
Wasser.
Von seinem Vater weiß Helmut Crott, dass Tetta nun fast jeden Tag in
die Blumenstraße kommt, denn die Wohnverhältnisse im Altenheim sind
unerträglich geworden. In einem Haus, das einmal für 23 Bewohner geplant wurde,
leben nun 80 Menschen auf engstem Raum zusammen. So sieht es nämlich
die Verordnung über »Mietverhältnisse mit Juden« vor: 2 Jüdische
Wohnungs- und Hauseigentümer müssen jüdische Mitbürger bei sich aufnehmen.
Helmut Crott tritt vor den Kleiderschrank und betrachtet sich im
Spiegel. Sieht er jüdisch aus? Wie sehen Juden überhaupt aus? Verrät sein
Gesicht, dass er eine jüdische Mutter hat? Das fragt er sich nicht zum ersten
Mal. Er fragt es sich, seitdem die Angst Bestandteil seines Lebens geworden
ist. Nur zu gut erinnert er sich an den Morgen des 10. November im letzten
Jahr. Er sitzt im Zug nach Düsseldorf, auf dem Weg in die Vereinigten
Stahlwerke A.G. ,
und hört, wie die Leute darüber reden, dass in der Nacht die Wuppertaler
Synagoge gebrannt hat, dass die jüdischen Geschäfte in der Berliner- und Herzogstraße
geplündert worden sind. Kaum ist er in seinem Büro in der Düsseldorfer
Innenstadt angekommen, ruft er seine Eltern an. Carola ist zunächst noch um
Fassung bemüht. Doch dann fleht sie ihn an: »Komm heute Abend gleich nach
Hause, hörst du, Junge?«
Helmut Crott hat den Gestellungsbefehl noch immer in der Hand.
Wenn er an dieser Übung nun tatsächlich teilnimmt, werden sie ihn dann wieder
auf eine Liste setzen, so wie damals an der Universität?
Norwegen kämpft um seine Neutralität
Februar – April 1940
Während Lillian ihrem Vater in den Februartagen 1940 dabei
hilft, den Schnee vor dem Haus an der Halvdansgate wegzuschippen, bekräftigen
die skandinavischen Außenminister auf einer Konferenz in Kopenhagen noch einmal
die »absolute Neutralität« von Dänemark, Norwegen und Schweden. Genau die ist
nämlich in den Wochen zuvor plötzlich infrage gestellt worden. Zunächst sogar
durch die Alliierten, die inzwischen in ein völkerrechtliches Dilemma geraten
sind. England und Frankreich sind bei ihren Überlegungen, wie sie unter dem
Druck des zu erwartenden Angriffs auf Frankreich die deutsche Kriegswirtschaft
empfindlich treffen können, schnell zu dem Schluss gelangt, dass das
schwedische Erz aus Kiruna nicht mehr nach Deutschland gelangen darf.
Das Erz ist für Hitlers Rüstungsindustrie von großer Bedeutung. Im
Winter geht der Transport nach Emden über den nordnorwegischen Hafen Narvik,
der wegen des Golfstroms eisfrei bleibt. Die Briten haben die Norweger darüber
in Kenntnis gesetzt, dass sie gegen diese Erzlieferungen an das Reich vorgehen
werden. Außerdem haben sie Norwegen und Schweden um Durchmarscherlaubnis für
jene alliierten Truppen gebeten, die Finnland im Krieg gegen die Sowjetunion
unterstützen sollen.
Am 30. November 1939 hat der »Winterkrieg« zwischen der Sowjetunion
und Finnland begonnen. Es geht um Gebietsansprüche Stalins. Finnland sieht
seine Unabhängigkeit durch den mächtigen Nachbarn bedroht. Norwegen und
Schweden begrüßen zwar, dass die Alliierten Finnland helfen wollen, verweisen
aber auf ihre Neutralität und lehnen einen Durchmarsch fremder Truppen ab. Nach
dem 13. März 1940 erübrigt sich die Finnland-Hilfe, weil Finnen und Sowjets
einen Waffenstillstand unterschrieben haben.
Die zu verhindernden
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