Erzaehl es niemandem
fünfjährigen
Bjørn sind sowieso alle vernarrt.
Einmal gelingt es John Berthung, zwei Kaninchen zu ergattern. Das
ist eigentlich ein Festtag, aber alle haben Angst, dass der Duft des gebratenen
Fleisches nach außen dringt und die Nachbarn misstrauisch macht oder den
Soldaten auf der Straße einen Anlass gibt nachzuschauen, ob die Norweger in dem
grünen Haus nicht etwa Lebensmittel gehamstert haben, denn das ist bei
Androhung hoher Strafe verboten. Verboten haben die Deutschen den Norwegern
auch, Radio zu hören. Lillian und die Eltern konnten es gar nicht fassen, als
ihr Radiogrammofon mit dem glänzenden Mahagonideckel im Herbst 1940
beschlagnahmt wurde. »Was bilden die sich eigentlich ein, wer sie sind?«, hatte
John durch die Lippen gepresst, während er das Gerät auf dem Handwagen
festzurrte, um es zu den ebenfalls beschlagnahmten Räumen der Heilsarmee in die
Skolegate zu bringen. Dort stapelten sich bereits Hunderte von Radioapparaten.
Und Lillian hatte traurig bemerkt: »Jetzt können wir nicht mehr sonntags
zusammen die schönen Platten hören.« Im Radioschrank hatte sich auch der
Plattenspieler befunden, vor dem sich sonntags die ganze Familie zu versammeln
pflegte, um eine der vielen Schallplatten mit klassischer Musik zu hören.
Eines Tages bringt John, als er nach Hause kommt, noch eine weitere
Hiobsbotschaft: »Jetzt wollen die Deutschen auch unser Auto haben.«
Auch das müssen sie hinnehmen. Alle Privatautos werden von der
Besatzungsmacht beschlagnahmt, auch der Chevrolet der Berthungs. Nur die
Mitglieder der Nasjonal Samling dürfen sowohl ihre Radios als auch ihre Autos
behalten. Die norwegische faschistische Samling-Partei hat zusammen mit der
Gestapo die Augen überall und Harstad fest im Griff. Es herrscht eine
Atmosphäre der Angst, und John, Annie, Lillian und Pus können sich kaum
vorstellen, dass das so bald ein Ende haben wird. Alle Zeitungen sind längst
gleichgeschaltet und überschlagen sich Tag für Tag mit Meldungen über neue
Eroberungen von Hitlers Armeen. Die Menschen fühlen sich allein und schutzlos,
vor allem seitdem der König das Land verlassen musste und nach England
geflüchtet ist.
John Berthung hat sich schon als Buchdruckerlehrling sehr für
die deutsche Sprache und Literatur interessiert. Deshalb kann er mit
Unteroffizier Robert Teschner in dessen Muttersprache reden. Als Teschner an
jenem Vormittag im März 1942 in der Druckerei der Harstad Tidende steht, um einen Auftrag der Wehrmacht zu besprechen, bemerkt der Norweger, dass
Teschner eine Trauerbinde am Arm trägt und sehr niedergeschlagen und
unglücklich wirkt. »Darf ich fragen, was passiert ist?«, sagt er zu dem
Deutschen, und Teschner erzählt, dass seine Frau umgekommen sei. Er habe aber
nicht einmal eine Erlaubnis bekommen, zu ihrer Beisetzung in die Heimat zu reisen.
John ist voller Mitgefühl. Ohne weiter darüber nachzudenken, lädt er
den Deutschen zu einem Besuch auf seine Hütte ein. »Ich bin dort Ostern mit
meiner Familie, aber bitte kommen Sie in Zivil.« Als er merkt, dass Teschner
zögert, fügt er noch hinzu: »Wenn Sie nicht allein kommen mögen, bringen Sie
doch einen Kameraden mit.«
Am Nachmittag verlässt John die Druckerei, und weil die Märzsonne an
diesem Tag schon ein bisschen wärmt, geht er langsamer als sonst nach Hause.
Von der Storgate biegt er nach links in die Hvedingsgate ein und stapft jetzt
durch den noch sehr hohen Schnee den Berg zur Halvdansgate hoch. Vom Haus der
Berthungs hat man einen freien Ausblick über das Meer, und John bleibt für
einen Moment vor dem schmiedeeisernen Tor stehen. Er blickt über die Dächer und
die Anlegestellen am Kai auf den strahlend blau schimmernden Vågsfjord und die
dahinter liegenden schneeweißen Berge des sich nach Norden ziehenden
Festlandes. In diesem Augenblick kommt ihm besonders schmerzlich zu
Bewusstsein, dass die Deutschen, deren Bücher er so gerne gelesen hat, nun in
Uniform gekommen sind und sein Land für sich beanspruchen.
Einige Minuten später sitzt er mit Annie, Lillian, Pus und Bjørn an
dem großen ovalen Tisch im Esszimmer. Es ist halb drei, und die Standuhr in der
Ecke links vom Fenster schlägt ihren Westminster-Schlag. John mag diesen Klang.
Die drei Viertelnoten mit einer punktierten Halben, die jede Viertelstunde in
einer anderen Abfolge erklingen. Er und Annie lieben ihr Zuhause, das sie im
Laufe der Jahre mit schönen Möbeln stilvoll eingerichtet haben. Über dem
Esstisch hängt der Leuchter mit den
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