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Erzaehl es niemandem

Erzaehl es niemandem

Titel: Erzaehl es niemandem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randi Crott , Lillian Crott Berthung
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Kerzen. Auf dem dunklen Eichenbuffet an der
Wand stehen links und rechts die beiden großen Bleikristall-Schüsseln, die John
vor einigen Jahren eigens aus Böhmen hat kommen lassen. Die Fenster sind
eingerahmt von hellen Gardinen aus feiner weißer Spitze.
    Annie hat gerade den Kabeljau auf die Teller verteilt, als John von
seiner Begegnung mit dem deutschen Unteroffizier erzählt. »Ich habe ihn zu uns
auf die Hütte eingeladen, weil ich Mitleid mit ihm hatte.«
    »Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?« Annie sieht ihren
Mann erstaunt an.
    »Nein, vielleicht nicht, aber ich hab es eben gemacht.«
    Da wird es auf einmal still am Tisch. Die Frau, die später einmal
meine Großmutter sein wird, hofft, dass der Deutsche die Einladung nicht annimmt.
Lillian, ihre Tochter, sagt nichts.

Das Vaterland meldet sich in Croydon
    Juni 1939
     
    Es regnet an diesem warmen Abend im Juni 1939 in London.
Dr. Helmut Crott kommt von der Arbeit nach Hause in seine kleine Wohnung in
Croydon. Er ist seit Mai 1939 in der englischen Hauptstadt und von seinem
Arbeitgeber, den Vereinigten Stahlwerken Düsseldorf, beauftragt, bei der
Londoner Handelsgesellschaft des Unternehmens die Umstellung der Buchhaltung
auf ein neuzeitliches Verfahren durchzuführen. Die Stelle hat er nach seinem
Jurastudium bekommen. Für einen Berufsanfänger ein großes Glück – die
Vereinigten Stahlwerke sind einer der bedeutendsten Konzerne im Reich.
    In der Zentrale hat sich Helmut Crott schnell eingearbeitet und bald
so gute Fachkenntnisse vorzuweisen, dass sein Unternehmen ihm die
wirtschaftliche Überwachung seiner englischen Auslands-Handelsgesellschaft
zutraut. Der junge Mann ist darauf nicht wenig stolz, vor allem nach seinen
Erfahrungen während der letzten Jahre im Deutschen Reich.
    Dr. Crott starrt auf den Brief, den ihm seine Eltern aus Wuppertal
nach London nachgesandt haben. Es ist sein Einberufungsbefehl. Das amtliche
Schreiben mit dem Hakenkreuz fordert ihn auf, ab dem 18. Juli 1939 an einer
sechswöchigen Wehrübung teilzunehmen. Ausgerechnet ihn, der nach den Nürnberger
Rassegesetzen als »Halbjude« gilt … Crott schüttelt den Kopf.
    Und überhaupt: Ist das schon ein Hinweis für einen bevorstehenden
Krieg? Aber selbst wenn es nur bei dieser Übung bliebe, was würde nach den
sechs Wochen passieren? Wird er in London weiterarbeiten können? Wäre es nicht
besser, er ginge überhaupt nicht nach Deutschland zurück, sondern bliebe
einfach hier?
    Auf einmal sind alle Sorgen und Ängste wieder ganz präsent. Er hat
natürlich mitbekommen, dass in Großbritannien Wehrpflichtige registriert worden
sind, obwohl die britischen Streitkräfte bis jetzt eine Freiwilligenarmee
waren. Deutet das nicht doch schon darauf hin, dass auch die Engländer sich auf
einen Krieg vorbereiten?
    Er beschließt, noch am selben Abend mit seinen Eltern zu
telefonieren, um sich mit ihnen zu beraten. Aber ihm ist eigentlich schon jetzt
klar, dass ein Missachten dieser Einberufung Konsequenzen für die Seinen zu
Hause haben wird. Andererseits könnte ein Eintritt in die Wehrmacht doch auch
Schutz für ihn und seine Eltern bedeuten. Wird das Vaterland jemandem, den es
in seinen Dienst gerufen hat, auf Dauer die Anerkennung der bürgerlichen Rechte
verweigern können?
    Er hatte sich ja im Mai mit widersprüchlichen Gefühlen von seinen
Eltern verabschiedet. Einerseits voller Erwartung und Vorfreude auf die Arbeit
und das Leben in London, andererseits in großer Sorge, wie sich die Dinge in
Deutschland und seiner Heimatstadt Wuppertal entwickeln würden. Zum Beispiel
für seine Tante Tetta, die in einem jüdischen Altersheim in Wuppertal lebt.
Tante Tetta, die stets so sorgenvoll fragte, ob er unter den neuen Gesetzen
überhaupt sein Studium würde vollenden dürfen, und der er schließlich doch ein
Exemplar seiner Dissertation mit der Widmung schenkte konnte: »Meiner lieben
und besorgten Tante Tetta zugeeignet.«
    Helmut Crott liebt diese Tante sehr. Vielleicht auch deshalb, weil
sie eher wie eine Großmutter für ihn ist. Tetta war noch klein, als ihre Mutter
starb. Einige Jahre später heiratete der Vater erneut und Carola kam zur Welt.
Kurz darauf starb auch seine zweite Ehefrau. So hatte es Henriette übernehmen
müssen, die kleine Schwester, von der sie nur Tetta genannt wurde, großzuziehen.
Tettas eigenes Leben ist wegen dieser frühen Pflichten für die Familie auf der
Strecke geblieben. Wenn Carola nun ihre ältere Schwester regelmäßig zu sich

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