Erzählungen
des Kanaldirectors, die Antwort auf unser Telegramm, meldete, daß wir die Schleußen nicht passiren könnten, da unsere Yacht um drei Meter zu lang sei.
Was nun?
»Es soll Niemand sagen, rief da mein Bruder, daß Bretagner sich durch unerwartete Hindernisse besiegen ließen! Der ›Saint Michel‹ ist zu lang?… Gut, so schneiden wir dem ›Saint Michel‹ die Nase, das heißt das Bugspriet ab und wenn es nöthig wäre, auch noch die Gallion!
– Einverstanden, gab ich zur Antwort, doch wollen wir damit warten, bis die Yacht an die erste Schleuße kommt.«
Sobald sich die Nachricht verbreitete, daß wir den Eiderkanal passiren wollten, kam es unter den Bewohnern des Landes, den Kaufleuten und Lieferanten welche das Eintreffen einer französischen Yacht herbeigelockt hatte, zu lebhaften Verhandlungen. Die Mehrheit behauptete, daß wir unmöglich hindurch kommen könnten.
Wir ließen die guten Leute reden und fuhren nach Rendsburg ab, wo wir gegen sechs Uhr Abends anlangten.
Zunächst fährt man von hier aus also den reizenden Eiderfluß hinauf, der sich in unzähligen Krümmungen dahinwindet. Oft kommt man ganz nahe an den Punkt wieder zurück, wo man vorher war, und ich schätze die Länge der Wasserstraße von Tönning nach Rendsburg zu mindestens hundertfünfzig Kilometer, während die Luftlinie gewiß nicht mehr als etwa achtzig beträgt.
Das Land ist flach, aber üppig grün und hat viele Weiden, auf denen sich Pferde, Kühe und Schafe zu Hunderten frei umhertummeln; von Zeit zu Zeit erscheinen einzelne bewaldete Hügel, Fabriken, Landgüter, die Häuser mit ungeheurem Strohdache bedeckt; die niedrigen Backsteinmauern durchbrochen durch die Pfosten der Fenster mit grünem Rahmen, weiterhin ein oder zwei kleine Städtchen, Friedrichsstadt, Erfde, Hohe Fähre und andere Flecken, welche alle unter Bäumen versteckt liegen. Der Fluß ist im Allgemeinen zwar tief genug, aber das eigentliche Fahrwasser oft von zu vielen Küstenfahrzeugen jeder Art, vorzüglich von rothen, blauen und grünen Galioten beansprucht, auf denen der Schiffer gleich mit Weib und Kind wohnt, und deren gelbliche Segel mit dem Grün der Landschaft angenehm contrastiren. Trotz der Gewandtheit unseres holsteinischen Lootsen gerieth der »Saint Michel« doch einmal mit dem Ende des Hinterstevens auf den Grund und konnte nur mit Mühe wieder flott gemacht werden.
In Rendsburg, wo wir gegen sechs Uhr Abends ankamen, befindet sich die erste Schleuße. Werden wir hindurch können? Auf den ersten Blick erscheint das zweifelhaft. Die Kammer erscheint so kurz. Unsere Ungewißheit währte nicht lange, nach zwei Minuten liegt die Yacht in der Schleußenkammer, paßt aber so knapp hinein, daß wir, um die folgenden, etwas kürzeren Schleußen passiren zu können, wirklich das Bugspriet einholen müssen, – eine mühsame, zeitraubende Arbeit, welche wir jedoch sofort vornehmen. Glücklicher Weise brauchten wir die Gallion am Vordersteven nicht zu opfern.
Rendsburg, vor der Annexion eine hervorragende, große deutsche Stadt Dänemarks, ist durch seine Lage ein Platz von Bedeutung. Schon im Alterthume konnte es an seine Thore schreiben:
Eydora Romani terminus imperii
.
In der That bildete die Eider eine der Grenzen, über welche die römische Herrschaft nicht hinausreichte. Jetzt ist Rendsburg der Sitz des Commandos des elften deutschen Armeecorps. Die Stadt an sich bietet des Interessanten wenig, aber die Umgebungen sind recht anziehend. Der Park mit seinen mächtigen Bäumen, deren unterste Aeste ihre Blätter in der Eider baden, ist wirklich reizend.
Von der Pracht der Vegetation dieser nordischen Lande macht sich Derjenige, der sie nicht selbst gesehen hat, kaum eine richtige Vorstellung. Es scheint, als ob die Natur nach sechsmonatlichem Winterschlafe hier desto schneller erwachte. Sie beeilt sich gleichsam den grünen Frühlingsschmuck anzulegen, um die düsteren, traurigen Tage der strengeren Jahreszeit vergessen zu machen. Die Feldblumen warten nicht einmal das Schmelzen des Schnees ab, die Baumknospen sprengen die dünne Eiskruste, welche die durch den aufsteigenden Saft belebten Zweige etwa noch bedeckt, und Alles entwickelt sich mit einem Ungestüm, das in dem wärmeren Klima Frankreichs unbekannt ist.
Von Rendsburg bis Kiel führt der Kanal durch einen wirklichen Park, eine Art Saint Cloud, aber mit zweihundert Fuß hohen Bäumen, vorzüglich Buchen, welche an Stelle der Eichen und Weidenbäume der Vorzeit getreten sind. Hier
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