Erzaehlungen
von dem frühen und raschen Tod der jungen Frau, und sie haben milde Worte des Trostes zu ihm gesprochen. Selbst von entlegenen Orten sind manche gekommen, Leute, an die er gar nicht gedacht; und Manche, von denen er kaum die Namen kannte, haben ihm die Hand gedrückt. Nur der ist nicht dagewesen, nach dem er sich am meisten gesehnt, sein liebster Freund. Er ist freilich ziemlich weit fort – in einem Badeort an der Nordsee, und gewiß hat ihn die Todesnachricht zu spät getroffen, als daß er noch rechtzeitig hätte abreisen können. Er wird erst morgen da sein können.
Richard öffnet die Augen wieder. Die Straße liegt nun völlig im Abendschatten, nur die weißen Mauern schimmern noch durchs Dunkel, und das macht ihn schauern. Er steht auf, verläßt den Balkon und tritt ins angrenzende Zimmer. Es ist das seiner Frau – gewesen. Er hat nicht daran gedacht, wie er rasch hineingetreten ist; er kann auch in der Dunkelheit nichts mehr darin ausnehmen; nur ein vertrauter Duft weht ihm entgegen. Er zündet die blaue Kerze an, die auf dem Schreibtisch steht, und wie er nun das ganze Gemach in seiner Helle und Freundlichkeit zu überschauen vermag, da sinkt er auf den Diwan hin und weint.
Lange weint er; – wilde und gedankenlose Tränen, und wie er sich wieder erhebt, ist sein Kopf dumpf und schwer. Es flimmert ihm vor den Blicken, die Kerzenflamme auf dem Schreibtisch brennt trüb. Er will es lichter haben, trocknet seine Augen und zündet alle sieben Kerzen des Armleuchters an, der auf der kleinen Säule neben dem Klavier steht. Und nun fließt Helle durchs ganze Gemach, in alle Ecken, der zarte Goldgrund der Tapete glitzert, und es sieht hier aus wie an manchem Abend, wenn er herein getreten ist und
sie
über einer Lektüre oder über Briefen fand. Da hat sie aufgeschaut, sich lächelnd zu ihm gewandt und seinen Kuß erwartet. – Und ihn schmerzt die Gleichgültigkeit der Dinge um ihn, die weiter starr sind und weiter glitzern, als wüßten sie nicht, daß sie nun etwas Trauriges und Unheimliches geworden sind. So tief wie in diesem Augenblick hat er es noch nicht gefühlt, wie einsam er geworden ist; und so mächtig wie in diesem Augenblick hat er die Sehnsucht nach seinem Freunde noch nicht empfunden. Und wie er sich nun vorstellt, daß der bald kommen und liebe Worte zu ihm reden wird, da fühlt er, daß doch auch für ihn das Schicksal noch etwas übrig hat, das Trost bedeuten könnte. Wär' er nur endlich da! ... Er wird ja kommen, morgen früh wird er da sein. Und da muß er auch lang bei ihm bleiben; viele Wochen lang; er wird ihn nicht fortlassen, bevor es sein
muß.
Und da werden sie beide im Garten Spazierengehen und, wie früher so oft, von tiefen und seltsamen Dingen sprechen, die
über
dem Schicksal des gemeinen Tages sind. Und abends werden sie auf dem Balkon sitzen wie früher, den dunklen Himmel über sich, der so still und groß ist; werden da zusammen plaudern bis in die späte Nachtstunde, wie sie es ja auch früher so oft getan, wenn
sie,
die in ihrem frischen und hastigen Wesen an ernsteren Gesprächen wenig Gefallen fand, ihnen schon längst lächelnd gute Nacht gesagt hatte, um auf ihr Zimmer zu gehn. Wie oft haben ihn diese Gespräche über die Sorgen und Kleinlichkeiten der Alltäglichkeit emporgehoben; – jetzt aber werden sie mehr, jetzt werden sie Wohltat, Rettung für ihn sein.
Immer noch geht Richard im Zimmer hin und her, bis ihn endlich der gleichmäßige Ton seiner eigenen Schritte zu stören anfängt. Da setzt er sich vor den kleinen Schreibtisch, auf dem die blaue Kerze steht, und betrachtet mit einer Art von Neugier die hübschen und zierlichen Dinge, die vor ihm liegen. Er hat sie doch eigentlich nie recht bemerkt, hat immer nur das Ganze gesehen. Die elfenbeinernen Federstiele, das schmale Papiermesser, das schlanke Petschaft mit dem Onyxgriff, die kleinen Schlüsselchen, welche eine Goldschnur zusammenhält; er nimmt sie nacheinander in die Hand, wendet sie hin und her und legt sie wieder sachte auf ihren Platz, als wären es wertvolle und gebrechliche Dinge. Dann öffnet er die mittlere Schreibtischlade und sieht da im offenen Karton das mattgraue Briefpapier liegen, auf dem
sie
zu schreiben pflegte, die kleinen Kuverts mit
ihrem
Monogramm, die schmalen, langen Visitenkarten mit
ihrem
Namen. Dann greift er mechanisch an die kleine Seitenlade, die versperrt ist. Er merkt es anfangs gar nicht, zieht nur immer wieder, ohne zu denken. Allmählich aber wird das gedankenlose
Weitere Kostenlose Bücher