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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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gewesen war und sie geküßt hatte. Mit einem Gefühl innerer Zufriedenheit ging sie weiter. Nach kurzer Zeit war sie in der Riemerstraße vor dem Haus ihrer Cousine.
    »Also es bleibt dabei,« sagte sie, »nicht wahr, daß Sie mich um drei abholen?«
    »Ja,« entgegnete Frau Rupius, »das heißt, – nun, wenn ich mich ein wenig verspäten sollte, halten Sie sich meinetwegen keineswegs länger bei Ihrer Cousine auf, als Ihnen angenehm ist; es bleibt jedenfalls dabei: um sieben Uhr abends auf dem Bahnhof. Auf Wiedersehen.« Sie gab Berta die Hand und ging rasch. Berta sah ihr befremdet nach. Sie kam sich wieder so verlassen vor wie in der Eisenbahn, da Frau Rupius ihren Roman gelesen hatte.
    Dann ging sie die zwei Treppen hinauf. Sie hatte die Cousine von ihrem Kommen nicht benachrichtigt und bekam eine leise Angst, daß sie ungelegen sein könnte. Seit vielen Jahren hatte sie Agathe nicht mehr gesehen, und die Korrespondenz zwischen ihnen war recht sparsam geführt worden.
    Agathe empfing sie nicht anders, als wären sie gestern zum letztenmal beisammen gewesen, ohne Verwunderung und ohne Herzlichkeit. Um Bertas Lippen war schon das Lächeln gewesen, wie man es hat, wenn man jemandem eine Überraschung zu bereiten glaubt; sie unterdrückte es gleich.
    »Du bist ja ein recht seltener Gast,« sagte Agathe, »und läßt gar nichts von dir hören.«
    »Aber Agathe, du bist mir ja noch einen Brief schuldig, seit drei Monaten.«
    »So?« fragte Agathe. »Nun, mich mußt du entschuldigen, du kannst dir denken, was einem drei Kinder zu tun geben. Hab' ich dir geschrieben, daß Georg schon in die Schule geht?« Agathe führte ihre Cousine in die Kinderstube, wo Georg und die zwei kleinen Mädchen von der Bonne eben ihr Mittagessen vorgeteilt erhielten. Berta stellte einige Fragen an sie, aber die Kinder waren sehr scheu, und das kleinste Mädchen begann sogar zu weinen. Endlich sagte Agathe zu Georg: »Bitte doch Tante Berta, daß sie das nächstemal Fritz mitbringt.«
    Berta fiel es auf, wie alt ihre Cousine in den letzten Jahren geworden. Wahrhaftig, wenn sie sich zu den Kindern beugte, sah sie beinahe aus wie eine alte Frau, und Berta wußte, daß sie selbst nur um ein Jahr jünger war als Agathe.
    Als sie wieder ins Speisezimmer zurückkehrten, war alles erschöpft, was sie einander zu erzählen hatten, und als Agathe Berta zu Tisch einlud, schien sie es nur gesagt zu haben, um überhaupt etwas zu reden. Berta nahm trotzdem an, und die Cousine ging in die Küche, um einige Aufträge zu erteilen. Berta sah sich im Zimmer um, das sparsam und geschmacklos eingerichtet was. Es war recht dunkel, da die Gasse sehr eng war. Berta nahm ein Album vor, das auf dem Tisch lag; darin fand sie beinahe lauter bekannte Gesichter: gleich im Anfange die Eltern Agathens, die längst tot waren, dann die Bilder ihrer eigenen Eltern und die ihrer für sie fast verschollenen Brüder, Bilder gemeinschaftlicher Jugendbekannter, von denen sie beinah nichts mehr wußte, und endlich ein Bild, dessen Vorhandensein sie schon ganz vergessen hatte: sie und Agathe gemeinschaftlich als ganz junge Mädchen. Damals hatten sie einander sehr ähnlich gesehen und waren sehr befreundet gewesen, Berta erinnerte sich mancher intimen Mädchengespräche, die sie damals geführt hatten. – Und dieses bildhübsche Ding mit den aufgesteckten Zöpfen war jetzt beinah eine alte Frau. Und sie selbst? Warum hielt sie sich denn noch immer für eine junge? Erschien sie nicht vielleicht anderen so wie Agathe ihr? Sie nahm sich vor, nachmittags auf die Blicke zu achten, mit welchen sie von Vorübergehenden betrachtet würde. Es wäre schrecklich, wenn sie auch schon so alt aussähe wie ihre Cousine! Nein, es war ganz lächerlich, das zu glauben! Ihr Neffe fiel ihr ein, der sie immer die »schöne Tante« nannte, – die Fensterpromenade Klingemanns von gestern Abend, – ja, sogar die Erinnerung an die Liebenswürdigkeiten ihres Schwagers beruhigte sie. Und als sie in den Spiegel sah, der ihr gegenüber hing, blickten ihr zwei helle Augen aus einem frischen und faltenlosen Gesicht entgegen, und es war ihr Gesicht und ihre Augen.
    Als Agathe wieder hereinkam, begann Berta von den fernen Jugendjahren zu sprechen, aber es schien, als hätte Agathe ihre früheren Beziehungen geradezu vergessen, als hätten die Ehe, die Mutterschaft, die Sorgen des Alltags mit der Jugend auch die Erinnerung daran ausgelöscht. Wie jetzt Berta von einem Studentenkränzchen zu reden begann, das

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