Erzaehlungen
sie zusammen besucht, von jungen Leuten, die Agathen den Hof gemacht, von einem gewissen anonymen Blumenstrauß, den Agathe einmal geschickt bekommen hatte, lächelte sie anfangs wie abwesend, dann sah sie Berta an und sagte: »Daß du dich noch an alle die Dummheiten erinnerst.«
Der Gatte Agathens kam aus der Kanzlei nach Hause. Er war recht grau geworden. Im ersten Augenblick schien er Berta nicht zu erkennen, dann verwechselte er sie mit einer anderen Dame und entschuldigte sich mit seinem schlechten Personengedächtnis. Bei Tisch spielte er den Gewandten, er fragte in einer gewissen überlegenen Art nach den Zuständen der kleinen Stadt und meinte scherzend, ob Berta nicht wieder zu heiraten gedächte. An diesen Neckereien beteiligte sich auch Agathe, während sie zugleich ihren Gatten, der dem Gespräch eine frivole Wendung zu geben suchte, gelegentlich durch Blicke zurechtwies. Berta fühlte sich unbehaglich. Später machte Agathens Gatte eine Anspielung, aus der hervorging, daß seine Frau wieder Mutterfreuden entgegensah. Aber während Berta sonst für Frauen in solchen Umständen ein Gefühl der Sympathie hatte, war sie hier fast unangenehm berührt. Auch lag in der Art, wie der Gatte davon sprach, keine Spur von Liebe, sondern eher ein gewisser alberner Stolz erfüllter Pflicht. Er sprach so davon, als wenn es eine besondere Liebenswürdigkeit von ihm wäre, daß er sich bei all seiner Beschäftigung und trotzdem Agathe nicht mehr schön war, dazu verstand, bei ihr zu schlafen. Berta hatte das Gefühl, hier in eine unreinliche Geschichte eingeweiht zu werden, die sie nichts anging. Sie war froh, als der Gatte gleich nach eingenommener Mahlzeit ging, – es war seine Gewohnheit, »sein einziges Laster«, wie er lächelnd sagte, nach Tisch eine Stunde im Kaffeehaus Billard zu spielen.
Berta blieb mit Agathe allein.
»Ja,« sagte Agathe, »nun steht mir das wieder einmal bevor.« Und nun begann sie in einer geschäftsmäßigen, kühlen Art von ihren früheren Entbindungen zu reden, mit einer Aufrichtigkeit und Schamlosigkeit, die Berta um so mehr auffiel, als sie einander doch so fremd geworden waren. Aber während Agathe weitersprach, fuhr Berta plötzlich der Gedanke durch den Sinn, wie schön es sein müßte, von einem Mann, den man liebt, ein Kind zu bekommen. Sie hörte nicht mehr auf die widerwärtigen Reden ihrer Cousine, sie dachte nur mehr an die unendliche Sehnsucht, die sie selbst manchmal in ganz jungen Jahren überkommen, Mutter zu werden, und sie erinnerte sich eines Augenblicks, da diese Sehnsucht tiefer gewesen war als jemals früher oder später. Es war an einem Abend, da Emil Lindbach sie vom Konservatorium aus nach Hause begleitete, ihre Hand in der seinen. Sie wußte noch, daß es ihr damals zu schwindeln begonnen, und daß sie in jenem einzigen Momente verstanden hatte, was die Phrase besagen wollte, die sie zuweilen in Romanen gelesen: »er hätte aus ihr machen können, was er wollte«.
Jetzt merkte sie, daß es im Zimmer ganz still geworden und daß Agathe in der Ecke des Divans lehnte und zu schlafen schien. Auf der Wanduhr war es drei. Wie unangenehm, daß Frau Rupius noch nicht da war! Berta trat zum Fenster und blickte auf die Straße. Dann wandte sie sich nach Agathe um, die die Augen wieder geöffnet hatte. Berta versuchte rasch ein neues Gespräch zu beginnen und erzählte von der Toilette, die sie vormittags bestellt, aber Agathe war zu schläfrig, sie antwortete gar nicht mehr. Berta wollte nicht lästig fallen und nahm Abschied. Sie beschloß auf der Straße Frau Rupius zu erwarten. Agathe schien sehr froh, während Berta sich zum Fortgehen ankleidete, wurde herzlicher, als sie die ganze Zeit über gewesen, und sagte an der Tür, als wäre eine Erleuchtung über sie gekommen: »Wie die Zeit vergeht! Ich hoffe, du läßt dich bald wieder anschauen.«
Als Berta vor dem Haustor stand, wußte sie, daß sie vergeblich auf Frau Rupius wartete. Gewiß war es von Anfang an deren Absicht gewesen, den Nachmittag ohne Berta zu verbringen, es brauchte ja weiter nichts Böses dabei zu sein, und war auch sicher nichts Böses dabei. Es kränkte Berta nur, daß Anna so wenig Vertrauen zu ihr hatte. Berta spazierte planlos weiter; es lagen noch mehr als drei Stunden vor ihr, ehe sie auf den Bahnhof sollte. Zuerst ging sie wieder in der inneren Stadt spazieren. Es war wirklich angenehm, so ganz unbeobachtet, als Fremde unter den Leuten herumzugehen. Lange hatte sie dieses Vergnügen nicht
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