Erzaehlungen
ganz zerstört: Bäume waren ausgeholzt, Planken verwehrten den Weg, der Boden war aufgerissen, und vergeblich suchte sie die Bank zu finden, wo sie mit Emil verliebte Worte gewechselt, an deren Ton sie sich so gut und an deren eigentlichen Inhalt sie sich gar nicht mehr erinnerte. Sie gelangte nun in den gut erhaltenen, wohlgepflegten Teil des Parks, der voll Menschen war. Aber sie hatte die Empfindung, daß manche Leute sie betrachteten und einige Damen über sie lachten, und sie kam sich wieder sehr kleinstädtisch vor, ärgerte sich über ihre eigene Verlegenheit und dachte an die Zeit, da sie als hübsches junges Mädchen unbefangen und stolz durch solche Alleen gegangen war. Sie kam sich jetzt so herabgesunken, so bedauernswert vor. Der Einfall, im großen Musikvereinssaal in der ersten Reihe zu sitzen, erschien ihr verwegen, beinah unausführbar. Es war ihr jetzt auch sehr unwahrscheinlich, daß Emil Lindbach sie noch erkennen würde, ja es schien ihr fast unmöglich, daß er sich noch ihrer Existenz erinnern könnte. Was hatte er seitdem alles erlebt! Wie viele Frauen und Mädchen mochten ihn wohl geliebt haben, und in ganz anderer Art als sie. Und während sie weiter ging, nun durch weniger belebte Alleen endlich wieder hinaus auf die Ringstraße, sah sie den Geliebten ihrer Jugend in allerlei Abenteuern vor sich, in die wirre Erinnerungen aus gelesenen Romanen und unklare Vorstellungen von seinen Kunstreisen im Ausland seltsam hineinspielten. Sie dachte sich ihn in Venedig, in einer Gondel mit einer russischen Fürstin, dann wieder sah sie ihn am Hofe des bayrischen Königs, wo Herzoginnen seinem Spiel lauschten und sich in ihn verliebten, dann erschien er ihr im Boudoir einer Opernsängerin, dann auf einem Maskenball in Spanien, von verführerischen Masken umschwärmt. Und in je weitere Fernen er unnahbar und beneidenswert entschwebte, um so ärmlicher erschien sie sich selbst, und sie begriff es mit einemmal nicht mehr, wie leicht sie damals ihre eigenen Hoffnungen, ihre künstlerische Zukunft und den Geliebten aufgegeben, um ein sonnenloses Dasein zu führen und in der Menge zu verschwinden. Es war wie ein Schauer, der sie erfaßte, als sie sich darauf besann, daß sie nichts anderes war als die Witwe eines unansehnlichen Menschen, die in einer kleinen Stadt lebte, sich mit Klavierlektionen fortbrachte und langsam das Alter herankommen sah. Niemals hatte sie auch nur einen Strahl von dem Glanz auf ihrem Weg gefunden, in dem der seine dahinlief, solang er lebte. Und mit dem gleichen Schauer dachte sie daran, wie sie sich immer an ihrem Schicksal hatte genügen lassen, wie sie ohne Hoffnung, ja ohne Sehnsucht in einer Dumpfheit, die ihr in diesem Augenblick unerklärlich erschien, ihr ganzes Dasein hingebracht.
Sie war zur Aspernbrücke gekommen, ohne nur auf den Weg zu achten. Hier wollte sie die Straße übersetzen, aber sie mußte warten, da eine große Anzahl von Wagen vorüberfuhr. In den meisten saßen Herren, von denen viele Feldstecher trugen; sie wußte: die kamen aus dem Prater, vom Rennen. Jetzt kam eine elegante Equipage, darinnen ein Herr mit einer jungen Frau in weißer Frühjahrstoilette saß; gleich darauf ein Wagen mit zwei auffallend gekleideten Damen. Berta sah ihnen lang nach: eine wandte sich um, und zwar nach einem Wagen, der gleich hinten nachfuhr und in dem ein junger, sehr hübscher Mann in einem langen, grauen Überzieher lehnte. Berta empfand etwas sehr Schmerzliches, Unruhe und Ärger zugleich; sie hätte die Dame sein wollen, welcher der junge Mann nachfuhr, sie hätte schön, jung, unabhängig, ach Gott, sie hätte irgendein Weib sein wollen, das tun kann, was es will und sich nach Männern umwenden, die ihm gefallen. Und in diesem Augenblick wußte sie ganz bestimmt, daß Frau Rupius jetzt mit jemandem zusammen war, den sie lieb hatte. Freilich, warum sollte sie's nicht sein? Sie war ja, wenigstens solang sie in Wien lebte, frei, Herrin ihrer Zeit, – und dabei war sie sehr hübsch, und ein duftiges, violettes Kleid hatte sie an, und um ihren Mund war ein Lächeln, das man gewiß nur haben kann, wenn man glücklich ist – und zu Hause ist sie nicht glücklich. Und mit einemmal sah Berta Herrn Rupius vor sich, wie er daheim in seinem Zimmer saß und Stiche betrachtete. Aber heut' tut er es sicher nicht, nein, heute zittert er zu Hause um seine Frau, in einer ungeheuren Angst, daß man sie ihm dort, in der großen Stadt wegnimmt, daß sie nie wieder zurückkommt, und daß er
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