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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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einschliche, löste sich plötzlich der unheimliche Ernst ihres Gesichts, und sie sagte harmlos: »Denken Sie, daß mein Mann jetzt noch schläft. Er hat die Gewohnheit angenommen, bis tief in die Nacht hinein wach zu bleiben, zu lesen und Stiche anzuschauen, und dann schläft er bis zum hellen Mittag. Im übrigen, das ist ganz Gewohnheitssache; als ich noch in Wien lebte, war ich eine unglaubliche Langschläferin.« Und nun begann sie von ihren Mädchenjahren zu plaudern, heiter und mit einer Zutraulichkeit, wie sie Berta nie früher an ihr bemerkt. Sie erzählte von ihrem Vater, der Offizier im Generalstab gewesen, von ihrer Mutter, die als ganz junge Frau gestorben war, von dem kleinen Haus mit Garten, in dem sie als Kind gespielt hatte. Jetzt erst erfuhr Berta, daß Frau Rupius ihren Mann schon als Knaben kennen gelernt, daß er mit den Seinen im angrenzenden Haus gewohnt und daß sie sich schon als Kinder verlobt hatten. Es war für Berta, als wenn die ganze Jugend dieser Frau wie sonnenbestrahlt auftauchte, eine Jugend voll Glück und voll Hoffnung, und es schien ihr, als hätte auch die Stimme der Frau Rupius einen frischeren Klang, da sie nun von den Reisen erzählte, die sie in früherer Zeit mit ihrem Manne unternommen. Berta ließ sie nur immer weiterreden und scheute sich, sie anzurufen, als wäre sie eine Mondsüchtige, die über Dachfirste wandelt. Aber während Frau Rupius von einer vergangenen Zeit sprach, als deren besondere Schönheit immer die Seligkeit des Geliebtwerdens durchschimmerte, begann es in Bertas Seele mitzubeben, von der Hoffnung eigenen Glücks, das sie noch nicht erlebt. Und während Frau Rupius von Fußwanderungen erzählte, – durch die Schweiz und Tirol – die sie einmal mit ihrem Gatten unternommen, sah Berta sich selbst an der Seite Emils auf gleichen Wegen wandeln, und eine so ungeheure Sehnsucht erfüllte sie, daß sie am liebsten gleich aufgestanden, nach Wien gefahren wäre, ihn suchen, in seine Arme stürzen, endlich einmal die Wonnen erleben, die ihr bisher versagt geblieben waren.
    Ihre Gedanken irrten so weit, daß sie nicht bemerkte, wie Frau Rupius längst wieder schwieg, auf dem Sofa saß und mit starren Augen zu den Blumenstöcken des Hauses gegenüber sah. Die große Stille weckte Berta auf; das ganze Zimmer schien ihr wie erfüllt von etwas Geheimnisvollem, in dem Vergangenes und Zukünftiges sonderbar ineinander spielten. Sie fühlte einen unbegreiflichen Zusammenhang zwischen sich und dieser Frau. Sie stand auf, reichte ihr die Hand, und, als wäre es ganz selbstverständlich, küßten sich die beiden Frauen zum Abschied, wie alte Freundinnen. Bei der Türe sagte Berta: »Ich fahre morgen wieder nach Wien auf einige Tage.« Sie lächelte dabei wie eine Braut.
    Von Frau Rupius ging sie zu ihrer Schwägerin. Ihr Neffe saß schon am Klavier und phantasierte sehr wild auf den Tasten; er tat, als bemerkte er ihr Eintreten nicht, und ging in Fingerübungen über, die er mit gemacht steifer Gelenkhaltung spielte.
    »Wir werden heute vierhändig spielen,« sagte Berta und suchte den Band mit den Schubertschen Märschen hervor. Sie hörte sich selbst gar nicht zu und merkte kaum, wie ihr Neffe beim Pedalgreifen ihren Fuß berührte. Indes kam Elly herein und küßte die Tante. »Ja, richtig,« sagte der Neffe, »das hab' ich ganz vergessen.« Und, immer weiterspielend, näherte er seinen Mund der Wange Bertas.
    Die Schwägerin trat ein, mit dem Schlüsselbund klappernd und tiefe Schwermut in dem blassen, verschwommenen Gesicht.
    »Ich habe die Brigitte entlassen,« sagte sie tonlos. »Es war nicht mehr auszuhalten.«
    »Soll ich dir ein Mädchen aus Wien versorgen?« sagte Berta mit einer Leichtigkeit, über die sie selbst staunte. Und nun erzählte sie die Lüge von der Einladung der Cousine ein zweites Mal, mit noch größerer Sicherheit und bereits ein wenig ausgeschmückt. Die innere Freude, die sie selbst während ihrer Erzählung verspürte, steigerte zugleich ihren Mut. Selbst die Möglichkeit, daß ihr Schwager sich ihr anschließen könnte, schreckte sie nicht mehr. Auch fühlte sie, daß sie durch die Art, in der er sich ihr zu nähern pflegte, im Vorteil ihm gegenüber war.
    »Wie lang denkst du denn in der Stadt zu bleiben?« fragte die Schwägerin.
    »Zwei, drei Tage, länger gewiß nicht. Und weißt du, Montag hätt' ich jedenfalls hinein müssen – zur Schneiderin.«
    Richard klimperte auf dem Piano, aber Elly stand, mit beiden Armen auf das Klavier

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