Der letzte Liebesdienst
1
M it aller Kraft versuchte Maja, den Entgegenkommenden auszuweichen. Meine Güte, war das schwierig. Kaum hatte sie sich nach links bewegt, kam ihr schon wieder jemand entgegen und lief sie fast über den Haufen. Mit einem schnellen Sprung rettete sie sich nach rechts.
»Kannst du nicht aufpassen, du Idiot?« Ihre Stimme klang wütend und laut in ihren Ohren, aber der Mann drehte sich nicht einmal um.
Eine helle Frauenstimme lachte in ihrer Nähe. »Nein, das kann er nicht. Schon vergessen?«
Maja versuchte sich so nah wie möglich an die Hauswand zu drücken und atmete aus. Hier war die Gefahr geringer, dass jemand ihren Weg kreuzte. »Tut mir leid, Anke. Ist alles noch ziemlich neu für mich«, bemerkte sie sarkastisch.
»Ich weiß.« Anke, die nun zu ihr kam, war ebenso jung wie Maja, Anfang Zwanzig. Aber sie wirkte nicht so aufgeregt. Eben streifte eine andere Frau ihren Arm, und Anke zuckte zusammen. Die Frau, die fast durch sie hindurchgelaufen war, schien es gar nicht zu bemerken. »Hoppla«, sagte Anke und strich über ihren Ellbogen. »Ich sollte auch besser aufpassen.«
Maja verzog die Mundwinkel. »Du bist es wenigstens schon eine Weile gewöhnt.«
»So lange auch nicht.« Anke legte ihre Hand beruhigend auf Majas Arm. »Am ersten Tag wäre ich fast hysterisch geworden.«
»Können wir das? Hysterisch werden?«, fragte Maja mit zweifelnd hochgezogenen Augenbrauen.
»Genauso, wie du eben wütend geworden bist.« Anke lächelte sie an. »Wir können fast alles, was wir auch vorher konnten. An unseren Gefühlen hat sich nichts geändert.«
» Fast alles«, wiederholte Maja, und ihr Gesichtsausdruck wandelte sich in den tiefster Trauer.
»Ja, leider nur fast.« Anke streichelte sanft Majas Handgelenk. »Wir müssen loslassen. Und ihnen helfen loszulassen. Deswegen sind wir hier.«
»Warum können wir nicht einfach zurück?« Maja schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Stimme klang tränenerstickt. »Nur noch ein kleines Weilchen . . . ganz kurz . . . einen Tag vielleicht . . .« Das Flüstern erstarb.
»Und dann noch einen Tag . . . und noch einen . . .« Anke seufzte. »Weißt du, wie oft ich mir das gewünscht habe? Aber es geht eben nicht. Was vorbei ist, ist vorbei.« Sie betrachtete Maja mitfühlend. »Du konntest dich wenigstens vorbereiten. Du wusstest, was passieren würde. Ich wurde ganz plötzlich von diesem betrunkenen Autofahrer aus dem Leben gerissen und hierher verbannt. Noch eine Sekunde vorher wusste ich von nichts. Und Fiona saß da und wartete, dass ich zu ihr kommen würde.« Nun klang auch Ankes Stimme nicht mehr ganz klar. Sie räusperte sich. »Wusste Lara es? Oder hast du es ihr nie gesagt?«
Maja nickte langsam. »Doch, sie wusste es. Sie wusste es fast von dem Tag an, an dem wir uns kennenlernten. Ich habe noch überlegt, ob ich es ihr sagen soll, aber dann . . . wir waren frisch verliebt. Es wäre unfair gewesen, ihr nicht die Chance zu geben, mich –« Sie brach schluckend ab.
»Dich gleich wieder zu verlassen, bevor sie sich zu sehr engagieren konnte.« Ankes Gesichtsausdruck wirkte zugleich verständnisvoll und schmerzlich. »Aber das hat sie nicht getan.«
»Nein, das hat sie nicht getan.« Maja schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »Sie hat sich um mich gekümmert. Das letzte Jahr war . . .«, sie schluckte, »traumhaft.« Bevor sie zu sehr in Erinnerungen versinken konnte, straffte sie ihre Schultern und trat einen Schritt von der Wand zurück. »Die meisten Leute denken wahrscheinlich nicht, dass es so schnell geht, wenn ein Gehirntumor diagnostiziert wird. Ich hätte das auch nicht gedacht. Aber diese Kopfschmerzen . . . trotz der starken Schmerzmittel haben sie mich immer daran erinnert.« Sie verzog das Gesicht. »Die wenigstens bin ich jetzt los. Als ich . . . aufwachte, war das das Erste, was ich bemerkt habe. Es ist eine große Erleichterung, das nicht mehr jeden Tag spüren zu müssen.«
»Na, siehst du. So hat die Sache doch auch etwas Positives.« Anke strahlte sie zuversichtlich an. »Den Rest werden wir auch noch schaffen.«
Maja schaute unsicher zurück. »Ich habe Angst. Lara und ich, wir . . . wir waren so eng verbunden. Ich glaube, sie hat es einfach verdrängt, dass es nicht ewig dauern konnte. Und jetzt . . . jetzt kann ich ihr nicht mehr helfen. Sie wird sich um alles kümmern müssen, meine Beerdigung –« Sie legte eine Hand über ihre Augen, aber darunter floss eine Träne langsam ihre Wange
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