Erzaehlungen
Schlosse antraf, mochte strengen Beurteilern nicht gewählt genug erscheinen, aber auch Gäste, die sonst nach Geburt und Erziehung zu Standesvorurteilen geneigt waren, nahmen keinerlei Anstoß an der zwanglosen Zusammensetzung eines Kreises, die durch die dort geübte Kunst genügend gerechtfertigt schien und von dem überdies der Name und Ruf des freiherrlichen Paares jeden Verdacht freierer Sitten durchaus fernhielt. Unter manchen anderen, deren ich mich nicht mehr entsinne, begegnete ich auf dem Schlosse einem jungen Grafen von der Innsbrucker Bezirkshauptmannschaft, einem Jägeroffizier aus Riva, einem Generalstabshauptmann mit Frau und Tochter, einer Operettensängerin aus Berlin, einem Bozener Likörfabrikanten mit zwei Söhnen, dem Baron Meudolt, der damals eben von seiner Weltreise zurückgekommen war, einem pensionierten Hofschauspieler aus Bückeburg, einer verwitweten Gräfin Saima, die als junges Mädchen Schauspielerin gewesen war, mit ihrer Tochter, und dem dänischen Maler Petersen.
Im Schlosse selbst wohnten nur die wenigsten Gäste. Einige nahmen in Bozen Quartier, andere in einem bescheidenen Gasthof, der unten an der Wegscheide lag, wo eine schmälere Straße nach dem Gute abzweigte. Aber meist in den ersten Nachmittagsstunden war der ganze Kreis oben versammelt, und dann wurden, manchmal unter der Leitung des ehemaligen Hofschauspielers, zuweilen unter der des Freiherrn, der selbst niemals mitwirkte, bis in die späten Abendstunden Proben abgehalten, anfangs unter Scherzen und Lachen, allmählich aber mit immer größerem Ernste, bis der Tag der Vorstellung herannahte, und je nach Witterung, Laune, Vorbereitung, möglichst mit Rücksicht auf den Schauplatz der Handlung, entweder auf dem an den Wald grenzenden Wiesenplatz hinter dem Schloßgärtchen oder in dem ebenerdigen Saal mit den drei großen Bogenfenstern die Aufführung stattfand.
Als ich das erstemal den Freiherrn besuchte, hatte ich keinen anderen Vorsatz, als an einem neuen Ort unter neuen Menschen einen heiteren Tag zu verbringen. Aber wie das so kommt, wenn man ohne Ziel und in vollkommener Freiheit umherstreift, und überdies bei allmählich schwindender Jugend keinerlei Beziehungen bestehen, die lebhafter in die Heimat zurückrufen, ließ ich mich vom Freiherrn zu längerem Bleiben bereden. Aus dem einen Tag wurden zwei, drei und mehr, und so, zu meiner eignen Verwunderung, wohnte ich bis tief in den Herbst oben auf dem Schlößchen, wo mir in einem kleinen Turm ein sehr wohnlich ausgestattetes Zimmer mit dem Blick ins Tal eingeräumt war. Dieser erste Aufenthalt auf dem Guntschnaberg wird für mich stets eine angenehme und, trotz aller Lustigkeit und alles Lärms um mich herum, sehr stille Erinnerung bleiben, da ich mit keinem der Gäste anders als flüchtig verkehrte und überdies einen großen Teil meiner Zeit, zu Nachdenken und Arbeit gleichermaßen angeregt, auf einsamen Waldspaziergängen verbrachte. Auch der Umstand, daß der Freiherr aus Höflichkeit einmal eines meiner kleinen Stücke darstellen ließ, störte die Ruhe meines Aufenthaltes nicht, da niemand von meiner Eigenschaft als Verfasser Notiz nahm. Vielmehr bedeutete mir dieser Abend ein höchst anmutiges Erlebnis, da mit dieser Aufführung auf grünem Rasen, unter freiem Himmel ein bescheidener Traum meiner Jugendjahre so spät als unerwartet in Erfüllung ging.
Die lebhafte Bewegung im Schlosse ließ allmählich nach, der Urlaub der Herren, die in einem Berufe standen, war großenteils abgelaufen, und nur manchmal kam Besuch von Freunden, die in der Nähe ansässig waren. Erst jetzt gewann ich selbst zu dem Freiherrn ein näheres Verhältnis und fand bei ihm zu einiger Überraschung mehr Selbstbescheidung, als sie Dilettanten sonst eigen zu sein pflegt. Er täuschte sich keineswegs darüber, daß das, was auf seinem Schlosse getrieben wurde, nichts anderes war, als eine höhere Art von Gesellschaftsspiel. Aber da es ihm im Gange seines Lebens versagt geblieben war, in eine dauernde und ernsthafte Beziehung zu seiner geliebten Kunst zu treten, so ließ er sich an dem Schimmer genügen, der wie aus entlegenen Fernen über das harmlose Theaterwesen im Schlosse geglänzt kam, und freute sich überdies, daß hier von mancher Erbärmlichkeit, die das Berufliche doch überall mit sich bringt, kein Hauch zu spüren war.
Auf einem unserer Spaziergänge sprach er ohne jede Zudringlichkeit den Einfall aus, einmal auf seiner Bühne im Freien ein Stück dargestellt zu sehen,
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