Erzaehlungen
nieder. Wir bewohnten ein anmutiges Haus zwischen Wasser und Wald, fern von allen Menschen. Wir waren sehr glücklich.«
Er sprach so langsam, daß Leisenbohg toll zu werden glaubte.
Wozu hat er mich hierhergerufen? dachte er. Was will er von mir? ... Hat sie ihm gestanden –? ... Was geht's ihn an? ... Warum blickt er mir so starr ins Gesicht? ... Weshalb sitz ich hier in Molde auf einer Veranda mit einem Pierrot? ... Ist es nicht am Ende doch ein Traum? ... Ruh ich vielleicht in Klärens Armen? ... Ist es am Ende noch immer dieselbe Nacht? ... – Und unwillkürlich riß er die Augen weit auf.
»Wirst du mich rächen?« fragte Sigurd plötzlich.
»Rächen? ... Ja warum? was ist denn geschehen?« fragte der Freiherr und hörte seine eigenen Worte wie von ferne her.
»Weil sie mich zugrunde gerichtet hat, weil ich verloren bin.«
»Erzähle mir endlich,« sagte Leisenbohg mit harter, trockener Stimme.
»Fanny Ringeiser war mit uns,« fuhr Sigurd fort. »Sie ist ein gutes Mädchen, nicht wahr?«
»Ja, sie ist ein gutes Mädchen,« erwiderte Leisenbohg und sah mit einem Male das halbdunkle Zimmer vor sich mit den blausamtenen Möbeln und den Ripsvorhängen, wo er vor mehreren hundert Jahren mit Fannys Mutter gesprochen hatte.
»Sie ist ein ziemlich dummes Mädchen, nicht wahr?«
»Ich glaube«, erwiderte der Freiherr.
»Ich weiß es,« sagte Sigurd. »Sie ahnte nicht, wie glücklich wir waren.« Und er schwieg lange.
»Weiter,« sagte Leisenbohg und wartete.
»Eines Morgens schlief Kläre noch,« begann Sigurd von neuem. »Sie schlief immer weit in den Morgen hinein. Ich aber ging im Walde spazieren. Da kam plötzlich Fanny hinter mir hergelaufen. ›Fliehen Sie, Herr Ölse, eh' es zu spät ist; reisen Sie ab, denn Sie befinden sich in höchster Gefahr!‹ Sonderbarerweise wollte sie mir anfangs durchaus nicht mehr sagen. Aber ich bestand darauf und erfuhr endlich, was für eine Gefahr mir ihrer Meinung nach drohte. Ah, sie glaubte, daß ich noch zu retten wäre, sonst hätte sie mir gewiß nichts gesagt!«
Der grüne Plaid auf dem Geländer blähte sich auf wie ein Segel, das Lampenlicht auf dem Tisch flackerte ein wenig.
»Was hat dir Fanny erzählt?« fragte Leisenbohg streng.
»Erinnerst du dich des Abends,« fragte Sigurd, »an dem wir alle in Klärens Haus zu Gaste waren? Am Morgen dieses Tages war Kläre mit Fanny auf den Friedhof hinausgefahren, und auf dem Grabe des Fürsten hatte sie ihrer Freundin das Grauenhafte anvertraut.«
»Das Grauenhafte –?« Der Freiherr erbebte.
»Ja. – Du weißt, wie der Fürst gestorben ist? Er ist vom Pferd gestürzt und hat noch eine Stunde gelebt.«
»Ich weiß es.«
»Niemand war bei ihm als Kläre.«
»Ich weiß.«
»Er wollte niemanden sehen als sie. Und auf dem Sterbebette tat er einen Fluch.«
»Einen Fluch?«
»Einen Fluch. – ›Kläre,‹ sprach der Fürst, ›vergiß mich nicht. Ich hätte im Grabe keine Ruhe, wenn du mich vergäßest.‹ – ›Ich werde dich nie vergessen,‹ erwiderte Kläre. – ›Schwörst du mir, daß du mich nie vergessen wirst?‹ – ›Ich schwöre es dir.‹ – ›Kläre, ich liebe dich, und ich muß sterben!‹« ...
»Wer spricht?« schrie der Freiherr.
»Ich spreche,« sagte Sigurd, »und ich lasse Fanny sprechen, und Fanny läßt Kläre sprechen, und Kläre läßt den Fürsten sprechen. Verstehst du mich nicht?«
Leisenbohg hörte angestrengt zu. Es war ihm, als hörte er die Stimme des toten Fürsten aus dreifach verschlossenem Sarge in die Nacht klingen.
»›Kläre, ich liebe dich, und ich muß sterben! Du bist so jung, und ich muß sterben .... Und es wird ein anderer kommen nach mir ... Ich weiß es, es wird so sein .... Ein anderer wird dich in den Armen halten und mit dir glücklich sein .... Er soll nicht – er darf nicht! ... Ich fluche ihm. – Hörst du, Kläre? ich fluche ihm! ... Der erste, der diese Lippen küßt, diesen Leib umfängt nach mir, soll in die Hölle fahren! ... Kläre, der Himmel hört den Fluch von Sterbenden ... Hüte dich – hüte ihn ... In die Hölle mit ihm! in Wahnsinn, Elend und Tod! Wehe! wehe! wehe!‹«
Sigurd, aus dessen Mund die Stimme des toten Fürsten tönte, hatte sich erhoben, groß und feist stand er in seinem weißen Flanellanzug da und blickte in die helle Nacht. Der grüne Plaid sank von dem Geländer in den Garten hinab. Den Freiherrn fror entsetzlich. Es war ihm, als wenn ihm der ganze Körper erstarren wollte. Eigentlich hätte er gern geschrien,
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