Erzaehlungen
Willkommgruß Sigurds und schritt in guter Haltung die Schiffstreppe hinab.
»Ich danke dir tausendmal, daß du meinem Ruf gefolgt bist«, sagte Sigurd. Und einfach setzte er hinzu: »Mit mir ist es aus.«
Der Freiherr betrachtete ihn. Sigurd sah sehr blaß aus, die Haare an seinen Schläfen waren auffallend grau geworden. Auf dem Arm trug er einen grünen mattglänzenden Plaid.
»Was gibt's? was ist geschehen?« fragte Leisenbohg mit einem starren Lächeln.
»Du sollst alles erfahren«, sagte Sigurd Ölse. Dem Freiherrn fiel es auf, daß Sigurds Stimme weniger voll klang als früher. – Sie fuhren auf einem kleinen schmalen Wagen durch die liebliche Allee längs des blauen Meeres hin. Beide schwiegen. Leisenbohg wagte nicht zu fragen. Seine Blicke starrten aufs Wasser, das sich kaum bewegte. Er kam auf die sonderbare, aber wie sich herausstellte, undurchführbare Idee, die Wellen zu zählen; dann schaute er in die Luft, und ihm war, als tropften die Sterne langsam herunter. Endlich fiel ihm auch ein, daß eine Sängerin existierte, Kläre Hell mit Namen, die sich irgendwo in der weiten Welt umhertrieb, – aber grade das war ziemlich unwichtig. Nun kam ein Ruck, und der Wagen stand vor einem einfachen weißen Hause still, das ganz im Grünen lag. Auf einer Veranda mit dem Blick aufs Meer speisten sie zu Abend. Ein Diener, mit einem strengen und in den Momenten, da er den Wein einschenkte, geradezu drohenden Gesicht, bediente. Die helle Nordnacht ruhte über den Fernen.
»Nun?« fragte Leisenbohg, über den es mit einem Male wie eine Flut von Ungeduld hinstürzte.
»Ich bin ein verlorener Mensch,« sagte Sigurd Ölse und schaute vor sich hin.
»Wie meinst du das?« fragte Leisenbohg tonlos. »Und was kann ich für dich tun?« setzte er mechanisch hinzu.
»Nicht viel. Ich weiß noch nicht.« Und er blickte über Tischdecke, Geländer, Vorgarten, Gitter, Straße und Meer ins Weite.
Leisenbohg war innerlich starr ... Allerlei Ideen zugleich durchzuckten ihn ... Was mochte geschehen sein? ... Kläre war tot –? ... Sigurd hatte sie ermordet –? ... ins Meer geworfen –? ... Oder Sigurd war tot –? ... Doch nein, das war unmöglich ... der saß ja da vor ihm ... Warum aber sprach er nicht? ... Und plötzlich, von einer ungeheuren Angst durchjagt, stieß Leisenbohg hervor: »Wo ist Kläre?«
Da wandte sich der Sänger langsam zu ihm. Sein etwas dickes Gesicht begann von innen zu glänzen, und schien zu lächeln, – wenn es nicht der Mondschein war, der über seinem Gesicht spielte. Jedenfalls fand Leisenbohg in diesem Augenblick, daß der Mann, der hier mit verschleiertem Blick zurückgelehnt neben ihm saß, beide Hände in den Hosentaschen, die Beine lang unter den Tisch hingestreckt, mit nichts auf der Welt mehr Ähnlichkeit hatte als mit einem Pierrot. Der grüne Plaid hing über dem Geländer der Terrasse und schien dem Baron in diesem Moment ein guter alter Bekannter .... Aber was ging ihn dieser lächerliche Plaid an? Träumte er vielleicht? ... Er war in Molde. Sonderbar genug ... Wäre er vernünftig gewesen, so hätte er dem Sänger eigentlich aus Aix telegraphieren können: »Was gibt's? was willst du von mir, Pierrot?« Und er wiederholte plötzlich seine Frage von früher, nur viel höflicher und ruhiger: »Wo ist Kläre?«
Jetzt nickte der Sänger mehrere Male. »Um die handelt es sich allerdings. – Bist du mein Freund?«
Leisenbohg nickte. Er spürte ein leises Frösteln. Ein lauer Wind kam vom Meere her. »Ich bin dein Freund. Was willst du von mir?«
»Erinnerst du dich des Abends, da wir von einander Abschied nahmen, Baron? an dem wir im Bristol miteinander soupierten und du mich auf die Bahn begleitetest?«
Leisenbohg nickte wieder.
»Du hast wohl nicht geahnt, daß im selben Zuge mit mir Kläre Hell von Wien abreiste.«
Leisenbohg ließ den Kopf schwer auf die Brust herabsinken ...
»Ich habe es so wenig geahnt als du,« fuhr Sigurd fort. »Erst am nächsten Morgen auf der Frühstückstation hab' ich Kläre gesehen. Sie saß mit Fanny Ringeiser im Speisesaal und trank Kaffee. Ihr Benehmen ließ mich vermuten, daß ich diese Begegnung nur dem Zufall verdankte. Es war kein Zufall.«
»Weiter,« sagte der Baron und betrachtete den grünen Plaid, der sich leise bewegte.
»Später hat sie mir nämlich gestanden, daß es kein Zufall war. – Von diesem Morgen an blieben wir zusammen, Kläre, Fanny und ich. An einem eurer entzückenden kleinen österreichischen Seen ließen wir uns
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