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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Freiherr wollte sie nicht glauben, ich griff in meine Brieftasche und zeigte ihm das geheimnisvolle Blatt; er sah mich befremdet, ja angstvoll an und gab mir das Blatt zurück – es war weiß, unbeschrieben, unbezeichnet ...
    Ich habe Versuche gemacht, Marco Polo aufzufinden; aber das einzige, was ich von ihm erfahren konnte, war, daß er vor drei Jahren zum letzten Mal in einem Hamburger Vergnügungsetablissement niederen Ranges aufgetreten ist.
    Was aber unter allem diesem Unbegreiflichen das Unbegreiflichste bleibt, ist der Umstand, daß der Schullehrer, der damals seiner Perücke mit erhobenen Händen nachlief und im Walde verschwand, niemals wiedergesehen, ja daß nicht einmal sein Leichnam aufgefunden wurde.

Nachwort des Herausgebers

    Den Verfasser des vorstehenden Berichtes habe ich persönlich nicht gekannt. Er war zu seiner Zeit ein ziemlich bekannter Schriftsteller, aber so gut wie verschollen, als er, kaum sechzig Jahre alt, vor etwa zehn Jahren starb. Sein gesamter Nachlaß ging, ohne besondere Bestimmung, an den in diesen Blättern genannten Meraner Jugendfreund über. Von diesem wieder, einem Arzt, mit dem ich mich anläßlich eines Aufenthaltes in Meran im vorigen Winter zuweilen über allerlei dunkle Fragen, insbesondere über Geisterseherei, Wirkung in die Ferne und Weissagekunst unterhalten hatte, wurde mir das hier abgedruckte Manuskript zur Veröffentlichung übergeben. Gern möchte ich dessen Inhalt für eine frei erfundene Erzählung halten, wenn nicht der Arzt, wie auch aus dem Bericht hervorgeht, der am Schluß geschilderten Theatervorstellung mit ihrem seltsamen Ausgang beigewohnt und den in so rätselhafter Weise verschwundenen Schullehrer persönlich gekannt hätte. Was aber den Zauberer Marco Polo anlangt, so erinnere ich mich noch sehr wohl, als ganz junger Mensch in einer Sommerfrische am Wörthersee seinen Namen auf einem Plakat gedruckt gesehen zu haben; er blieb mir im Gedächtnis, weil ich gerade zu dieser Zeit im Begriffe war, die Reisebeschreibung des berühmten Weltfahrers gleichen Namens zu lesen.

Arthur Schnitzler
Das neue Lied

»Ich bin nicht schuld daran, Herr von Breiteneder ... bitte sehr, das kann keiner sagen!« Karl Breiteneder hörte diese Worte wie von fern an sein Ohr schlagen und wußte doch ganz genau, daß der, der sie sprach, neben ihm einherging – ja, er spürte sogar den Weindunst, in den diese Worte gehüllt waren. Aber er erwiderte nichts. Es war ihm unmöglich, sich in Auseinandersetzungen einzulassen; er war zu müde und zerrüttet von dem furchtbaren Erlebnis dieser Nacht, und es verlangte ihn nur nach Alleinsein und frischer Luft. Darum war er auch nicht nach Hause gegangen, sondern lieber im Morgenwind die menschenleere Straße weiterspaziert, ins Freie hinaus, den bewaldeten Hügeln entgegen, die drüben aus leichten Mainebeln hervorstiegen. Aber ein Schauer nach dem anderen durchlief ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und er spürte nichts von der wohligen Frische, die ihn sonst nach durchwachten Nächten in der Frühluft zu durchrieseln pflegte. Er hatte immer das entsetzliche Bild vor Augen, dem er entflohen war.
    Der Mann neben ihm mußte ihn eben erst eingeholt haben. Was wollte denn der von ihm? ... warum verteidigte er sich? ... und warum gerade vor ihm? ... Er hatte doch nicht daran gedacht, dem alten Rebay einen lauten Vorwurf zu machen, wenn er auch sehr gut wußte, daß der die Hauptschuld trug an dem, was geschehen war. Jetzt sah er ihn von der Seite an. Wie schaute der Mensch aus! Der schwarze Gehrock war zerdrückt und fleckig, ein Knopf fehlte, die andern waren an den Rändern ausgefranst; in einem Knopfloch steckte ein Stengel mit einer abgestorbenen Blüte. Gestern Abend hatte Karl die Blume noch frisch gesehen. Mit dieser selben Nelke geschmückt, war der Kapellmeister Rebay an einem klappernden Pianino gesessen und hatte die Musik zu sämtlichen Produktionen der Gesellschaft Ladenbauer besorgt, wie er es seit bald dreißig Jahren tat. Das kleine Wirtshaus war ganz voll gewesen, bis in den Garten hinaus standen die Tische und Stühle, denn heute war, wie es mit schwarzen und roten Buchstaben auf großen, gelben Zetteln zu lesen stand: »Erstes Wiederauftreten des Fräulein Maria Ladenbauer, genannt die ›weiße Amsel‹, nach ihrer Genesung von schwerem Leiden.«
    Karl atmete tief auf. Es war ganz licht geworden, er und der Kapellmeister waren längst nicht mehr die einzigen auf der Straße. Hinter ihnen, auch von Seitenwegen, ja

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