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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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sie immer gelacht hatte. Er wollte morgen kommen. Aber er kam nicht, nicht am nächsten und nicht am übernächsten Tage. Und immer weiter schob er den Besuch hinaus. Er wollte sie erst wiedersehen, nahm er sich vor, bis sie sich selbst in ihr Schicksal gefunden haben konnte. Dann fügte es sich, daß er eine Geschäftsreise antreten mußte, auf die der Vater schon lange gedrungen hatte. Er kam weit herum, war in Berlin, Dresden, Köln, Leipzig, Prag. Einmal schrieb er an die alte Frau Ladenbauer eine Karte, in der stand: Gleich nach seiner Rückkehr würde er hinaufkommen, und er ließe die Marie schön grüßen. – Im Frühjahr kam er zurück; aber zu den Ladenbauers ging er nicht. Er konnte sich nicht entschließen ... Natürlich dachte er auch von Tag zu Tag weniger an sie und nahm sich vor, sie ganz zu vergessen. Er war ja nicht der erste und nicht der einzige gewesen. Er hörte auch gar nichts von ihr, beruhigte sich mehr und mehr, und aus irgend einem Grunde bildete er sich manchmal ein, daß Marie auf dem Land bei Verwandten lebte, von denen er sie manchmal sprechen gehört hatte.
    Da führte ihn gestern abends – er wollte Bekannte besuchen, die in der Nähe wohnten – der Zufall an dem Wirtshaus vorüber, wo die Vorstellungen der Gesellschaft Ladenbauer stattzufinden pflegten. Ganz in Gedanken wollte er schon vorübergehen, da fiel ihm das gelbe Plakat ins Auge, er wußte, wo er war, und ein Stich ging ihm durchs Herz, bevor er ein Wort gelesen hatte. Aber dann, wie er es mit schwarzen und roten Buchstaben vor sich sah: »Erstes Auftreten der Maria Ladenbauer, genannt die ›weiße Amsel‹, nach ihrer Genesung,« da blieb er wie gelähmt stehen. Und in diesem Augenblick stand der Rebay neben ihm, wie aus dem Boden gewachsen: den weißen Strubelkopf unbedeckt, den schäbigen schwarzen Zylinder in der Hand und mit einer frischen Blume im Knopfloch. Er begrüßte Karl: »Der Herr Breiteneder – nein, so was! Nicht wahr, beehren uns heute wieder! Die Fräul'n Marie wird ja ganz weg sein vor Freud', wenn sie hört, daß sich die frühern Freund' doch noch um sie umschau'n. Das arme Ding! Viel haben wir mit ihr ausg'standen, Herr von Breiteneder; aber jetzt hat sie sich derfangt.« Er redete noch eine ganze Menge, und Karl rührte sich nicht, obwohl er am liebsten weit fort gewesen wäre. Aber plötzlich regte sich eine Hoffnung in ihm, und er fragte den Rebay, ob denn die Marie gar nichts sehe – ob sie nicht doch wenigstens einen Schein habe. »Einen Schein?« erwiderte der andere. »Was fällt Ihnen denn ein, Herr von Breiteneder! ... Nichts sieht sie, gar nichts!« Er rief es mit seltsamer Fröhlichkeit. »Alles kohlrabenschwarz vor ihr ... Aber werden sich schon überzeugen, Herr von Breiteneder, hat alles seine guten Seiten, wenn man so sagen darf – und ein Stimme hat das Mädel, schöner als je! ... Na, Sie werden ja seh'n, Herr von Breiteneder. – Und gut is sie – seelengut! Noch viel freundlicher, als sie eh' schon war. Na, Sie kennen sie ja – haha! – Ah, es kommen heut mehrere, die sie kennen ... natürlich nicht so gut wie Sie, Herr von Breiteneder; denn jetzt ist es natürlich vorbei mit die gewissen G'schichten. Aber das wird auch schon wieder kommen! Ich hab' eine gekannt, die war blind und hat Zwillinge gekriegt – haha! – Schauen S', wer da is,« sagte er plötzlich, und Karl stand mit ihm vor der Kassa, an der Frau Ladenbauer saß. Sie war aufgedunsen und bleich und sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Sie gab ihm ein Billet, er zahlte, wußte kaum, was mit ihm geschah. Plötzlich aber stieß er hervor: »Nicht der Marie sagen, um Gotteswillen Frau Ladenbauer ... nichts der Marie sagen, daß ich da bin! ... Herr Rebay, nichts ihr sagen!«
    »Is schon gut,« sagte Frau Ladenbauer und beschäftigte sich mit anderen Leuten, die Billetts verlangten.
    »Von mir kein Wörterl,« sagte Rebay. »Aber nachher, das wird eine Überraschung sein! Da kommen S' doch mit? Großes Fest – hoho! Habe die Ehre, Herr von Breiteneder.« Und er war verschwunden. Karl durchschritt den gefüllten Saal, und im Garten, der sich ohne weiteres anschloß, setzte er sich ganz hinten an einen Tisch, wo vor ihm schon zwei alte Leute Platz genommen hatten, eine Frau und ein Mann. Sie sprachen nichts miteinander, betrachteten stumm den neuen Gast, und nickten einander traurig zu. Karl saß da und wartete. Die Vorstellung begann, und Karl hörte die altbekannten Sachen wieder. Nur schien ihm alles eigentümlich

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