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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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den Tisch, fuhr sich durch das weiße Haar, rieb sich dann mit beiden Händen nach seiner Gewohnheit die glatten Wangen, schob Jedeks Glas beiseite, und beugte sich über den Tisch zu Karl hin. »Ich bin doch nicht auf'n Kopf g'fallen, Herr von Breiteneder! Ich weiß doch, was ich tu'! ... Warum soll denn ich schuld sein? ... Wissen S', für wen ich Couplets geschrieben hab' in meinen jüngeren Jahren? ... Für'n Matras! Das ist keine Kleinigkeit! Und haben Aufsehen gemacht! Text und Musik von mir! Und viele sind in andere Stück' eingelegt worden!«
    »Lassen S' das Glas steh'n,« sägte Jedek und kicherte in sich hinein.
    »Ich bitte, Herr von Breiteneder,« fuhr Rebay fort und schob das Glas wieder von sich. »Sie kennen mich doch, und Sie wissen, daß ich ein anständiger Mensch bin! Auch gibt's in meinen Couplets niemals eine Unanständigkeit, niemals eine Zote! ... Und das Couplet, wegen dem der alte Ladenbauer damals is verurteilt worden, war von einem andern! ... Und heut' bin ich achtundsechzig, Herr von Breiteneder – das ist ein Numero! Und wissen S', wie lang ich bei der G'sellschaft Ladenbauer bin? ... Da hat der Eduard Ladenbauer noch gelebt, der die G'sellschaft gegründet hat. Und die Marie kenn' ich von ihrer Geburt an. Neunundzwanzig Jahr bin ich bei die Ladenbauers – im nächsten März hab' ich Jubiläum ... Und ich hab' meine Melodien nicht g'stohlen – sie sind von mir, alles von mir! Und wissen Sie, wie viel man in der Zeit auf die Werkeln g'spielt hat? ... Achtzehn! Net wahr, Jedek? ...«
    Jedek lachte immerfort lautlos, mit aufgerissenen Augen. Jetzt hatte er alle drei Gläser vor seinen Platz hingeschoben und begann mit seinen Fingern leicht über die Ränder zu streichen. Es klang fein, ein bißchen rührend, wie ferne Oboen- und Klarinettentöne. Breiteneder hatte diese Kunstfertigkeit immer sehr bewundert, aber in diesem Augenblick vertrug er die Klänge durchaus nicht. An den andern Tischen hörte man zu; einige Leute nickten befriedigt, ein dicker Herr patschte in die Hände. Plötzlich schob Jedek alle drei Gläser wieder fort, kreuzte die Arme und starrte auf die weiße Straße, über die immer mehr und mehr Menschen aufwärts dem Wald entgegenwanderten. Karl flimmerte es vor den Augen, und es war ihm, als wenn die Leute hinter Spinneweben tänzelten und schwebten. Er rieb sich die Stirn und die Lider, er wollte zu sich kommen. Er konnte ja nichts dafür! Es war ein schreckliches Unglück – aber er hatte doch nicht Schuld daran! Und plötzlich stand er auf, denn als er an das Ende dachte, wollte es ihm die Brust zersprengen. »Gehen wir«, sagte er.
    »Ja, frische Luft ist die Hauptsache,« entgegnete Rebay.
    Jedek war plötzlich böse geworden, kein Mensch wußte, warum. Er stellte sich vor einen Tisch hin, an dem ein friedliches Paar saß, fuchtelte mit seinem Spazierstaberl herum und schrie mit hoher Stimme: »Da soll der Teufel ein Glaserer werden – Himmelsakerment!« Die beiden friedlichen Leute wurden verlegen und wollten ihn beschwichtigen; die übrigen lachten und hielten ihn für betrunken.
    Breiteneder und Rebay waren schon auf der weißen Straße, und Jedek, wieder ganz ruhig geworden, kam ihnen nachgetänzelt. Er nahm sein graues Hütel ab, hing es an seinen Spazierstock und hielt den Stock mit dem Hut über die Schultern wie ein Gewehr, während er mit der anderen Hand gewaltige grüßende Bewegungen zum Himmel empor vollführte.
    »Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich mich entschuldigen will,« sagte Rebay mit klappernden Zähnen. »Oho, hab' gar keine Ursache! Durchaus nicht! Ich hab' die beste Absicht gehabt, und jedermann wird es mir zugestehen. Hab' ich denn das Lied nicht selber mit ihr einstudiert? ... Bitte sehr, jawohl! Ja, noch wie sie mit den verbundenen Augen im Zimmer gesessen is, hab' ich's einstudiert mit ihr ... Und wissen S', wie ich auf die Idee kommen bin? Es ist ein Unglück, hab' ich mir gedacht, aber es ist doch nicht alles verloren. Ihre Stimme hat sie noch, und ihr schönes Gesicht ... Auch der Mutter hab' ich's g'sagt, die ganz verzweifelt war. Frau Ladenbauer, hab' ich ihr gesagt, da ist noch nichts verloren – passen S' nur auf! Und dann, heutzutage, wo es diese Blindeninstitute gibt, wo sie sogar mit der Zeit wieder lesen und schreiben lernen ... Und dann hab' ich einen gekannt – einen jungen Menschen, der ist mit zwanzig Jahren blind worden. Der hat jede Nacht von die schönsten Feuerwerk geträumt, von alle möglichen

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