Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
Vierzehn Jahre – seit mein Vater auf der Bahre lag.« »Und – Ihre Frau?« »Meine Frau hab' ich wohl in den letzten Augenblicken gesehen, aber – nachher nicht mehr.«
    Der Dichter erschien, reichte den anderen die Hand, einen unsichern Blick zum Bett gerichtet. Dann trat er entschlossen näher und betrachtete den Leichnam ernst, doch nicht ohne ein verachtungsvolles Zucken der Lippen. Also er, sprach es in seinem Sinn. Denn oft hatte er mit der Frage gespielt, wer von seinen näheren Bekannten bestimmt sein mochte, als der erste den letzten Weg zu gehen.
    Die Wirtschafterin trat ein. Mit Tränen in den Augen sank sie vor dem Bette nieder, schluchzte und faltete die Hände. Der Dichter legte leicht und tröstend die Hand auf ihre Schulter.
    Der Kaufmann und der Arzt standen am Fenster, die dunkle Frühlingsluft spielte um ihre Stirnen.
    »Es ist eigentlich sonderbar,« begann der Kaufmann, »daß er um uns alle geschickt hat. Wollte er uns um sein Sterbebett versammelt sehen? Hatte er uns irgend etwas Wichtiges zu sagen?«
    »Was mich anbelangt,« sagte der Doktor schmerzlich lächelnd, »so war' es weiter nicht sonderbar, da ich ja Arzt bin. Und Sie,« wandte er sich an den Kaufmann, »waren wohl zuweilen sein geschäftlicher Beirat. So handelte es sich vielleicht um letztwillige Verfügungen, die er Ihnen persönlich anvertrauen wollte.«
    »Das wäre möglich,« sagte der Kaufmann.
    Die Wirtschafterin hatte sich entfernt, und die Freunde konnten hören, wie sie im Vorzimmer mit dem Diener redete. Der Dichter stand noch immer am Bett und hielt geheimnisvolle Zwiesprache mit dem Toten. »Er,« sagte der Kaufmann leise zum Arzt, »er, glaub ich, war in der letzten Zeit häufiger mit ihm zusammen. Vielleicht wird er uns Aufschluß geben können.« Der Dichter stand regungslos; er bohrte seine Blicke in die verschlossenen Augen des Toten. Die Hände, die den breitrandigen, grauen Hut hielten, hatte er am Rücken gekreuzt. Die beiden andern Herren wurden ungeduldig. Der Kaufmann trat näher und räusperte. »Vor drei Tagen,« trug der Dichter vor, »hab ich einen zweistündigen Spaziergang mit ihm gemacht, draußen auf den Weinbergen. Wollen Sie wissen, wovon er sprach? Von einer Reise nach Schweden, die er für den Sommer vorhatte, von der neuen Rembrandtmappe, die in London bei Watson herausgekommen ist und endlich von Santos Dumont. Er gab allerlei mathematisch-physikalische Erörterungen über das lenkbare Luftschiff, die ich, ehrlich gestanden, nicht vollkommen kapiert habe. Wahrhaftig er dachte nicht an den Tod. Allerdings dürfte es sich ja so verhalten, daß man in einem gewissen Alter wieder aufhört an den Tod zu denken.«
    Der Arzt war ins Nebenzimmer getreten. Hier konnte er es wohl wagen, sich seine Zigarette anzuzünden. Es berührte ihn eigentümlich, gespensterhaft geradezu, als er auf dem Schreibtisch, in der bronzenen Schale, weiße Asche liegen sah. Warum bleib ich eigentlich noch da, dachte er, indem er sich auf dem Sessel vor dem Schreibtisch niederließ. Ich hätte am ehesten das Recht, fortzugehen, da ich doch offenbar nur als Arzt gerufen wurde. Denn mit unserer Freundschaft war es nicht weit her. In meinen Jahren, dachte er weiter, ist es für einen Menschen meiner Art wohl überhaupt nicht möglich, mit einem Menschen befreundet zu sein, der keinen Beruf hat, ja der niemals einen hatte. Wenn er nicht reich gewesen wäre, was hätte er wohl angefangen? Wahrscheinlich hätte er sich der Schriftstellerei ergeben; er war ja sehr geistreich. – Und er erinnerte sich mancher boshafttreffenden Bemerkung des Junggesellen, insbesondere über die Werke ihres gemeinsamen Freundes, des Dichters.
    Der Dichter und der Kaufmann traten herein. Der Dichter machte ein verletztes Gesicht, als er den Doktor auf dem verwaisten Schreibtischsessel sitzen sah, eine Zigarette in der Hand, die übrigens noch immer nicht angebrannt war, und er schloß die Türe hinter sich zu. Nun war man hier doch gewissermaßen in einer anderen Welt. »Haben Sie irgendeine Vermutung?« fragte der Kaufmann. »Inwiefern?« fragte der Dichter zerstreut. »Was ihn veranlaßt haben könnte, nach uns zu schicken, gerade nach uns!« Der Dichter fand es überflüssig nach einer besonderen Ursache zu forschen. »Unser Freund,« erklärte er, »fühlte eben den Tod herannahen, und wenn er auch ziemlich einsam lebte, wenigstens in der letzten Zeit, – in einer solchen Stunde regt sich in Naturen, die ursprünglich zur Geselligkeit

Weitere Kostenlose Bücher