Erzaehlungen
ihrer Bewunderung für Fräulein Bischof, und wie er sich in einer Art von Faschingslaune erbötig gemacht hatte, das Fräulein zu nachtschlafender Stunde in das Haus der Wunderbaren zu geleiten – auf die Gefahr hin, daß sie beide gleich wieder die Treppe hinunterbefördert würden.
»Was fällt Ihnen ein,« erwiderte Wilhelmine, »im Gegenteil, ich bin entzückt,« und sie reichte Irene die Hand. »Nur muß ich die Herrschaften bitten, mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten, ich komme nämlich eben aus dem Theater.« Man begab sich in den Nebenraum, wo unter einer grünlichen Kristallglocke drei matte Glühlampen einen nur zur Hälfte gedeckten Tisch beleuchteten. Während Ferdinand seinen Pelz ablegte und ihn auf den Diwan warf, nahm Wilhelmine Irene den Mantel selbst von den Schultern und hing ihn über eine Stuhllehne. Hierauf nahm sie Gläser aus der Kredenz, füllte sie mit weißem Wein, stellte sie vor Ferdinand und Irene hin, dann erst setzte sie sich nieder, nahm sich ruhig ein Stück kaltes Fleisch auf den Teller, zerschnitt es, sagte »Erlauben Sie« und begann zu essen. Von Zeit zu Zeit warf sie einen gutmütigen, wie von fern lächelnden Blick auf Irene und Ferdinand.
Sie findet es natürlich selbstverständlich, dachte Ferdinand ein wenig enttäuscht. Und wenn ich mit der Kaiserin von China gekommen wäre und ihr jetzt meine Ernennung zum Mandarin mitteilte, es käme ihr auch nicht sonderbar vor. Schade eigentlich. »Denn Frauen, die niemals staunen, gehören niemandem ganz ...« Es war ein Wort von Treuenhof, das ihm ziemlich ungenau durch den Kopf ging.
»War es lustig auf dem Ball?« fragte Wilhelmine. Ferdinand berichtete, daß der Saal überfüllt wäre, meist von häßlichen Menschen, und auch mit der Musik war' es nicht zum Besten bestellt. Er redete so hin. Wilhelmine blickte ihm wohlgelaunt ins Gesicht und wandte sich an Irene mit der Frage, ob ihr Begleiter ein flotter Tänzer wäre.
Irene nickte und lächelte. Ihr »Ja« war beinahe unhörbar.
»Sie haben heute ›Feodora‹ gespielt, Fräulein?« fragte Ferdinand, um das Gespräch nicht stocken zu lassen. »War es gut besucht?«
»Ausverkauft«, erwiderte Wilhelmine.
Irene sprach: »Als Feodora habe ich Sie leider noch nicht gesehen, Fräulein Bischof. Aber neulich als Medea. Es war herrlich.«
»Heißen Dank,« entgegnete Wilhelmine.
Irene äußerte noch einige Worte der Bewunderung, dann fragte sie Wilhelmine nach ihren Lieblingsrollen und schien ihren Antworten mit Anteilnahme zu lauschen; endlich kam es zu einem oberflächlich wirren Gespräch darüber, wer der größere Schauspieler sei, der in der darzustellenden Gestalt sich völlig verliere oder der über seiner Rolle stehe. Hier erwähnte Ferdinand, daß er mit einem jungen Komiker bekannt gewesen sei, der ihm selbst erzählt hatte, wie er eine gewisse höchst lustige Rolle gerade am Begräbnistage seines Vaters wirkungsvoller gespielt hätte als je.
»Sie haben ja nette Freunde,« bemerkte hierauf Wilhelmine und steckte eine Orangenschnitte in den Mund.
Wie ist es nun eigentlich? dachte Ferdinand. Hat Fräulein Irene vergessen, daß sie Wilhelmine ins Gesicht eine Mörderin heißen wollte ... Und weiß Wilhelmine überhaupt noch, daß ich ihr Geliebter bin, ich, der mit einer fremden jungen Dame ihr mitten in der Nacht einen Besuch abstattet..?
»Sie haben ein so reges Interesse fürs Theater, Fräulein,« bemerkte Wilhelmine, »sollten Sie vielleicht einmal daran gedacht haben, selbst diese Karriere einzuschlagen?«
Irene schüttelte den Kopf. »Ich habe leider kein Talent.«
»Nun danken Sie Gott,« sagte Wilhelmine, »es ist ein Sumpf.«
Und jetzt, während sie begann, von den Niederträchtigkeiten zu erzählen, die man als Künstlerin von allen Seiten zu erdulden habe, sah Ferdinand, wie Irene, gleichsam gebannt, zu einer Tür hinschaute, die angelehnt war und durch deren Spalt es bläulich hereinschimmerte. Und er bemerkte, wie Irenens. Antlitz, das bisher regungslos gewesen war, unter seiner Blässe sich leise zu bewegen, wie die schweigenden Lippen seltsam zu zucken begannen. Und ihm war, als gewahrte er in ihren weit geöffneten Augen eine frevelhafte Lust, in das bläuliche Zimmer einzudringen und ihr Gesicht in den Polster zu graben, auf dem Gabriels Haupt einmal geruht hatte. Dann fiel ihm ein, daß ein längeres Ausbleiben Irenens, wenn es schon bis jetzt unbemerkt geblieben sein mochte, immerhin von unangenehmen Folgen für sie und vielleicht
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