Erzaehlungen
Schon lange sehne ich mich ... schon lange schmachte ich danach ... in der Art wollte ich beginnen. Sie sind doch alle sehr eitel diese Frauen, nicht?«
»Das gehört zum Beruf,« erwiderte Ferdinand.
»Ah, ich hätte ihr so geschmeichelt, daß sie ganz entzückt gewesen wäre und mich gewiß aufgefordert hätte, wiederzukommen ... Und ich wär' auch wiedergekommen, öfters sogar, ganz intim wären wir geworden, Freundinnen geradezu; bis ich ihr eines Tages ... – ja – bis ich ihr's ins Gesicht geschrien hätte, in irgend einer Stunde: ›Wissen Sie auch, was Sie getan haben ... Wissen Sie, was Sie sind? Eine Mörderin! Ja, das sind Sie, Fräulein Bischof.‹«
Ferdinand betrachtete sie mit Staunen und dachte wieder: Was für ein Narr dieser Gabriel gewesen ist.
Die Quadrille war aus, unten summte und rauschte es, und alles kam von ferner als vorher. Zwei Paare spazierten vorbei, setzten sich gar nicht weit zu einem der Tische an der Wand, unterhielten sich und lachten ganz laut. Dann fing die Musik wieder an; es klang und schwoll durch den Raum.
»Und wenn ich jetzt zu ihr hinginge?« fragte Irene.
»Jetzt?«
»Was denken Sie, empfinge sie mich?«
»Es wäre eine sonderbare Stunde,« sagte Ferdinand lächelnd.
»Ach, es kann noch lange nicht Mitternacht sein, und sie hat ja heute gespielt.«
»Sie wissen das?«
»Was ist daran verwunderlich, steht es nicht in der Zeitung? Sie wird eben erst nach Hause gekommen sein. Wäre es nicht die einfachste Sache von der Welt? Man läßt sich melden, erzählt irgendeine Geschichte oder ganz einfach die Wahrheit. Ja. Ich komme geradewegs von einem Ball, meine Sehnsucht, Sie kennen zu lernen, war unüberwindlich, nur einmal wollt' ich die göttliche Hand küssen ... und so weiter. – Indessen wartet unten der Wagen, noch vor der großen Pause ist man zurück. Kein Mensch hat es bemerkt.«
»Wenn Sie dazu bereit sind, Fräulein,« sagte Ferdinand, »so erlauben Sie mir wohl, Sie zu begleiten.«
Irene sah ihn an. Der Ausdruck seiner Mienen war entschlossen und erregt. »Sie glauben doch nicht, daß ich wirklich ...«
»Aber von einem Turm zu springen, Fräulein, dazu hätten Sie Mut genug? ...«
Irene schaute ihm ins Auge, und plötzlich stand sie auf. »Dann aber gleich,« sagte sie, und über ihre Stirn lief ein dunkler Schatten.
Ferdinand rief den Kellner, bezahlte, reichte Irene den Arm und führte sie über die zwei Treppen hinab in die Vorhalle. Dort half er ihr in den hellgrauen Mantel, sie schlug den Pelzkragen in die Höhe und nahm ein Spitzentuch über den Kopf. Ohne ein Wort miteinander zu reden, traten beide unter das Tor in die Einfahrt. Ein Wagen fuhr herbei, und lautlos über die beschneite Straße rollten sie ihrem Ziele zu.
Ferdinand sah Irene zuweilen von der Seite an. Sie saß regungslos, und aus ihrem verhüllten Gesicht starrten die Augen ins Dunkle. Als nach wenigen Minuten der Wagen vor dem Hause auf dem Parkring stehenblieb, wartete Irene, bis Ferdinand geklingelt hatte und das Tor geöffnet war. Dann erst stieg sie aus, und beide gingen langsam die Treppen hinauf. Ferdinand fühlte sich wie aus einem Traum erwachen, als das wohlbekannte Kammermädchen vor ihm stand und ihn und seine Begleiterin verwundert betrachtete.
»Bitte, fragen Sie das Fräulein,« sagte Ferdinand, »ob sie die Güte haben möchte, uns zu empfangen.«
Das Mädchen lächelte dumm und führte das Paar in den Salon. Die Flammen des Deckenlusters strahlten auf, und Ferdinand sah Irene und sich selbst wie zwei fremde Menschen in dem venezianischen Spiegel schweben, der schiefgeneigt über dem schwarzen, glänzenden Flügel hing. Plötzlich fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf. Wie, wenn Irene sich nur darum hieher hätte fuhren lassen, um Wilhelmine zu ermorden. Der Einfall schwand so schnell, als er gekommen war; aber jedenfalls erschien ihm das junge Mädchen, wie es neben ihm stand und ihm das Spitzentuch langsam vom Kopf herabglitt, völlig verändert, ja, wie irgendein fremdes Wesen, dessen Stimme er noch nicht einmal kannte.
Eine Tür öffnete sich, und Wilhelmine trat ein in einem glatten samtnen Hauskleid, das den Hals frei ließ. Sie reichte Ferdinand die Hand und betrachtete ihn und das Fräulein mit Blicken, die eher Heiterkeit als Verwunderung ausdrückten. Ferdinand versuchte den Anlaß des nächtlichen Besuches mit scherzhaften Worten zu erklären. Er berichtete, wie seine Begleiterin während des Tanzes von nichts anderem gesprochen hatte, als von
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