Erzaehlungen
weiter? Sie achtete nicht darauf.
Auf der erhöhten Terrasse des Seehotels, dessen elektrische Bogenlampen schon verlöscht waren, im matten Schein von zwei Wandlichtern um einen Tisch gereiht, erblickte Beate die von ihr gesuchte Gesellschaft. Aber ehe sie an den Tisch herankam, in der plötzlichen Empfindung, daß ihr Antlitz in allzu ernsten Falten lag, ordnete sie es zu einem leeren Lächeln. Sie wurde herzlich begrüßt, reichte allen der Reihe nach die Hand, dem Direktor, dem Baumeister, den beiden Frauen und dem jungen Herrn Fritz Weber. Sonst war, wie sie jetzt erst merkte, niemand anwesend. »Wo ist denn der Hugo?« fragte sie etwas beunruhigt. »Aber in dem Augenblick ist er weggegangen«, erwiderte der Baumeister. »Daß Sie ihm nicht begegnet sind«, fügte seine Frau hinzu. Unwillkürlich warf Beate einen Blick auf Fritz, der mit einem verzerrten Dummen-Jungen-Lächeln sein Bierglas hin und her drehte und offenbar absichtlich an ihr vorbeisah. Dann nahm sie Platz zwischen ihm und der Frau Direktor und, um die drohend in ihr aufsteigenden Gedanken zu übertäuben, begann sie mit übertriebener Lebhaftigkeit zu reden. Sie bedauerte sehr, daß die Frau Direktor den schönen Ausflug nicht mitgemacht hatte, fragte nach dem Geschwisterpaar Bertram und Leonie und erzählte endlich, daß sie daheim während des Abendessens in einem französischen Memoirenwerk gelesen habe, das sie fabelhaft interessiere. Sie lese überhaupt nur mehr Lebenserinnerungen und Briefe großer Männer; an Romanen und dergleichen fände sie keinen Gefallen mehr. Es stellte sich heraus, daß es den übrigen Anwesenden nicht anders erginge. »Liebesg'schichten, das ist für junge Leut',« sagte der Baumeister, »ich mein' für Kinder, denn junge Leut' sind wir ja gewissermaßen noch alle.« Aber auch Fritz erklärte, daß er nur mehr wissenschaftliche Werke, am liebsten Reisebeschreibungen lese. Während er sprach, rückte er ganz nahe an Beate, drängte wie zufällig sein Knie an das ihre, seine Serviette fiel herab, er bückte sich, sie aufzuheben und streifte dabei zitternd Beatens Knöchel. Ja, war er denn toll, der Bub? Und er sprach weiter, erhitzt, mit glänzenden Augen: Wenn er erst Doktor sei, werde er sich bestimmt irgendeiner großen Expedition anschließen, nach Tibet vielleicht oder ins innere Afrika. Das nachsichtige Lächeln der übrigen begleitete seine Worte; nur der Direktor, Beate merkte es wohl, betrachtete ihn mit düsterm Neid. Als die Gesellschaft sich zum Heimgehen erhob, erklärte Fritz, er für seinen Teil werde noch einen einsamen Spaziergang am See unternehmen. »Einsam?« sagte der Baumeister. »Das kann man glauben oder auch nicht.« Fritz aber erwiderte, solche nächtlichen Sommerspaziergänge seien seine besondere Passion; erst neulich einmal sei er gegen ein Uhr morgens nach Hause gekommen, und zwar mit Hugo, der gleichfalls ein Freund von solchen Nachtpartien sei. Und als er einen unruhig fragenden Blick Beatens auf sich gerichtet sah, fügte er hinzu: »Es ist ganz gut möglich, daß ich dem Hugo irgendwo am Ufer begegne, wenn er nicht gar auf den See hinausgerudert ist, was auch vorzukommen pflegt.« »Das sind ja lauter Neuigkeiten«, sagte Beate mit mattem Kopfschütteln. »Ja, diese Sommernächte«, seufzte der Baumeister. »Du hast was zu reden«, bemerkte seine Gattin rätselhaft. Frau Direktor Welponer, die den andern voraus über die Stufen der Terrasse hinabging, blieb einen Augenblick stehen, blickte wie suchend zum Himmel auf und senkte dann wieder in einer seltsam hoffnungslosen Weise den Kopf. Der Direktor schwieg. Doch in seinem Schweigen bebte Haß gegen Sommernächte, Jugend und Glück.
Kaum daß sie alle unten am Ufer angelangt waren, huschte Fritz davon wie zum Spaß und verschwand im Dunkel. Beate wurde von den beiden Ehepaaren heimbegleitet. Langsam und mühselig gingen sie alle den steilen Weg bergauf. Warum ist Fritz so plötzlich davongelaufen? dachte Beate. Wird er Hugo am Ufer finden? Ist er jemals mit ihm nachts auf den See hinausgerudert? Sind sie im Einverständnis? Weiß Fritz, wo Hugo sich in diesem Augenblick befindet? Weiß er? Und sie mußte stehenbleiben, denn es war ihr, als hörte ihr Herz plötzlich zu schlagen auf. Als wüßte ich nicht selber, wo Hugo ist. Als wenn ich es nicht schon seit Tagen wüßte! »War' halt gut«, sagte der Baumeister, »wenns' da herauf eine Drahtseilbahn anlegen möchten.« Er hatte seiner Frau den Arm gereicht, was er, soweit sich Beate
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