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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Ding – und in den großen Kinderaugen immer derselbe Vorwurf. Wenn es mir mit den Händchen ins Gesicht fuhr, dachte ich: ja, ... es wird dich kratzen, es will sich rächen, denn es erinnert sich an jene erste Nacht seines Lebens, wo du es unter Decken vergrubst ...! – Und er begann zu lallen, zu sprechen. Ich hatte Angst vor dem Tage, wo er wirklich würde sprechen können. Aber das kam so allmählich – so allmählich. – Und immer wartete ich – immer, wenn er den Mund aufmachte, wartete ich: jetzt wird er es dir sagen. Ja, ja, er wird es dir sagen, daß er sich nicht täuschen läßt, daß all die Küsse, all die Liebkosungen, all die Liebe dich nicht zur wahren Mutter machen können. Er wehrte sich, er ließ sich nicht küssen, er war ungebärdig, er liebte mich nicht ... Ich ließ mich schlagen von dem fünfjährigen Buben, und auch später noch ließ ich mich schlagen und lächelte ... Ich hatte eine wahnsinnige Sehnsucht, meine Schuld loszuwerden, und wußte doch, daß es nimmer ginge! Konnt' ich's denn jemals sühnen? ... Und, wenn er mich ansah, immer mit denselben fürchterlichen Augen ...! Als er älter wurde, in die Schule ging, da wurde es mir vollends klar, daß er mich durchschaute ... Und alles nahm ich reuig hin ... Ach, er war kein gutes Kind ... aber ... ich konnte ihm nicht böse sein! Böse! oh, ich liebte ihn, liebte ihn bis zum Wahnsinn ... Und mehr als einmal sank ich hin vor ihn, küßte seine Hände – seine Knie – seine Füße! – Oh, er verzieh mir nicht. – Kein Blick der Liebe, kein freundliches Lächeln ...! Er wurde zehn, zwölf Jahre alt; er haßte mich! – In der Schule tat er kein gut ... Eines Tages kam er nach Hause mit trotzigen Worten: ›Es ist aus mit der Schule, sie wollen mich dort nicht mehr haben ...‹ Oh, wie ich damals erbebte. Ich wollte ihn ein Handwerk lernen lassen – ich bat, ich flehte – er blieb starr – er wollte nichts von der Arbeit wissen. Er trieb sich herum ... Was konnte ich ihm sagen – was ihm vorwerfen? Ein Blick von ihm machte all meinen Mut zunichte Wie zitterte ich vor dem Tage, wo er mir's ins Gesicht sagen würde: ›Mutter, Mutter! Du hast das Recht auf mich verwirkt!‹ – Aber er sprach es nicht aus ... Manchmal, wenn er trunken nach Hause kam, dachte ich: Nun wird ihm der Rausch die Zunge lösen ... Aber nein ... Da fiel er auch zuweilen hin und lag auf dem Boden bis in den hellen Mittag. Und wenn er dann erwachte und ich neben ihm saß, blickte er mich an mit Hohn ... mit einem verständnisvollen Lächeln um die Lippen, ungefähr, als wollte er sagen: Wir wissen ja, woran wir sind ...! Und Geld brauchte er, viel Geld, ich mußte es schaffen ... Aber es ging doch nicht immer so, wie er wollte, und dann wurde er böse, bitterböse – oft hob er die Hand auf gegen mich ... Und wenn ich müd aufs Bett gesunken war, stand er vor mir, wieder mit dem höhnischen Lachen, das bedeutete: Nein, den Gnadenstoß geh' ich dir nicht! ... Heute morgen endlich – polternd kam er herauf – ›Geld! Geld!‹ – Ja, um Gottes willen, ich hatte keines! – ›Wie? keines?‹ – Und ich beschwor ihn, er solle warten bis zur nächsten Woche, bis morgen, bis heut abend! Nein! Ich mußte ihm Geld geben – ich hatte es versteckt –, er schrie und suchte und riß die Kasten auf und das Bett ... und fluchte ... Und dann ... und dann ...«
    Nun hielt sie inne ... Nach einer Sekunde sagte sie: »Und war es nicht sein Recht?«
    »Nein!« sagte ich ... »Nein, Frau Eberlein! ... Sie waren längst Ihrer Schuld ledig. Ihre tausendfältige Güte hat die Verwirrung eines Momentes, in dem ein Wahn Sie gefangen hielt, längst gesühnt! ...«
    »Nein, Herr Doktor!« erwiderte sie – »kein Wahn! Denn ich erinnere mich allzu deutlich jener Nacht ... ich war nicht wahnsinnig, ich wußte, was ich wollte! ... Und darum, Herr Doktor, gehen Sie vors Gericht, und erzählen Sie, was Sie hier von mir gehört; man wird ihn freilassen, man muß es tun ...!«
    Ich sah, daß ich hier schwer ankämpfen konnte. »Nun« – meinte ich – »wir sprechen morgen noch davon, Frau Eberlein – für heute tut Ihnen Ruhe not ... Sie haben sich allzusehr angestrengt ...!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Herr Doktor! – Der Wunsch einer Sterbenden ist heilig ... Sie müssen es mir versprechen!«
    »Sie werden nicht sterben – Sie werden sich erholen.« –
    »Ich werde sterben – denn ich will es ... Werden Sie zu Gericht gehen ...?«
    »Vor allem fügen Sie sich mir, und

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