Erzaehlungen
Trauer, der auf ihr ruhte, während sie in den tiefen Schlummer gesunder Jugend versunken war.
Einmal war sie des Morgens wieder in den Kahn gestiegen, und die Frühe sprühte ihre ersten goldenen Funken über den See hin. Da wurde sie von der Lust erfaßt, sich einmal weiter hinaus in das blitzende, helle Wasser zu wagen. Sie fuhr eine gute Strecke weit, und da sie recht ungeübt im Rudern war, strengte sie sich übermäßig an, was ihre Freude an der Fahrt noch vermehrte. Auch in so früher Stunde konnte man nun nicht mehr ganz einsam auf dem Wasser sein. Einzelne Kähne begegneten Marien, und sie glaubte zu bemerken, daß manche nicht ohne Absicht näher an ihren heranfuhren. Ein kleines, elegantes Kielboot, in welchem zwei junge Herren die Ruder führten, fuhr sehr rasch hart an ihr vorüber. Die Herren zogen die Ruder ein, lüfteten die Mützen und grüßten höflich und lächelnd.
Marie sah die beiden groß an und sagte ein gedankenloses »Guten Morgen«. Dann schaute sie sich nach den beiden jungen Leuten um, ohne sich dessen recht bewußt zu werden. Auch jene hatten sich wieder umgewandt und grüßten nochmals. Da kam es ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß sie etwas Unrechtes getan, und so rasch sie nur mit ihrer geringen Kunst vermochte, ruderte sie ihrem Wohnhaus zu. Sie brauchte fast eine halbe Stunde zur Rückfahrt, kam erhitzt und mit aufgelösten Haaren an. Schon vom Wasser aus hatte sie Felix auf der Terrasse sitzen gesehen, und sie stürmte nun eilig in die Wohnung. Und ganz verwirrt, als wäre sie sich einer Schuld bewußt, eilte sie auf den Balkon, umfaßte Felix von rückwärts und fragte scherzend, überlustig: »Wer ist's?«
Er machte sich langsam von ihr los und sah sie ruhig von der Seite an. »Was hast du denn? Was bist du denn gar so lustig?«
»Weil ich dich wieder hab'.«
»Was bist du denn so erhitzt? Du glühst ja!«
»Ach Gott! Ich bin so froh, so froh, so froh!« Sie schob übermütig den Plaid von seinen Knien weg und setzte sich auf seinen Schoß. Sie ärgerte sich über ihre Verlegenheit, dann über sein verdrossenes Gesicht und küßte ihn auf die Lippen.
»Worüber bist du denn gar so froh?«
»Hab' ich denn keinen Grund? Ich bin so glücklich, daß« – sie stockte und fuhr dann fort – »daß es von dir genommen ist.«
»Was?« Es war etwas wie Mißtrauen in seiner Frage.
Sie mußte nun immer weiter reden. Da half nichts mehr. »Nun, die Furcht.«
»Die Furcht vor dem Tode?« meinst du.
»Sprich's doch nicht aus!«
»Warum sagst du, von
mir
genommen? Doch wohl auch von
dir,
nicht wahr?« Und dabei nahm sein Blick etwas Forschendes, beinahe Boshaftes an. Und wie sie, statt zu antworten, mit den Händen in seinen Haaren herumwühlte und ihren Mund seiner Stirn näherte, neigte er seinen Kopf ein wenig zurück und fuhr fort, erbarmungslos, kalt: »Es war zum mindesten – einmal deine Absicht? Mein Schicksal sollte ja das deine sein?«
»Es wird ja auch«, fiel sie lebhaft und heiter ein.
»Nein, es wird nicht«, unterbrach er sie ernst. »Was lullen wir uns denn ein? ›Es‹ ist nicht von mir genommen. ›Es‹ kommt immer näher, ich spüre es.«
»Aber –« Sie hatte sich unmerklich von ihm entfernt und lehnte nun am Geländer der Terrasse. Er stand auf und ging hin und her.
»Ja, ich spüre es. Es ist immerhin eine Verpflichtung, dir das mitzuteilen. Wenn es plötzlich für dich käme, würde es dich wahrscheinlich allzu heftig erschrecken. Darum erinnere ich dich daran, daß beinahe ein Viertel meiner Frist um ist. Vielleicht rede ich es mir auch nur ein, daß ich dir's sagen muß, – und nur die Feigheit veranlaßt mich dazu.«
»Bist du bös«, sagte sie ganz ängstlich, »daß ich dich allein gelassen?«
»Unsinn!« erwiderte er rasch, »
heiter
könnt' ich dich ja sehen, ich selbst werde – wie ich mich nun kenne – den gewissen Tag in Heiterkeit erwarten. Aber deine
Lustigkeit,
aufrichtig gesagt, die vertrag' ich nicht recht. Ich stelle es dir daher frei, dein Schicksal schon innerhalb der nächsten Tage von dem meinen zu trennen.«
»Felix!« – Sie hielt den Auf- und Niedergehenden mit beiden Armen zurück. Er machte sich wieder los.
»Die erbärmlichste Zeit bricht an. Bis jetzt war ich der interessante Kranke. Ein bißchen blaß, ein bißchen hüstelnd, ein bißchen melancholisch. Das kann ja einem Weibe noch so ziemlich gefallen. Was aber nun kommt, mein Kind, erspare dir lieber! Es könnte deine Erinnerung an mich vergiften.«
Sie
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