Erzaehlungen
fürchterlich gepeinigt hat. Sie gehört der Freude, dem Leben, sie darf wieder jung sein. Sie eilt davon, und der Morgenwind flattert ihr lachend nach.
Und wie doppelt elend kam sie sich vor, wenn dieses Bild ihrer wirren Träume wieder untertauchte! Sie litt darunter, daß es überhaupt erschienen war.
Und wie das Mitleid mit ihm an ihrem Herzen nagte, wie sie schauderte, wenn sie seines Wissens, seiner Hoffnungslosigkeit dachte! Und wie sie ihn liebte, wie sie ihn immer inniger liebte, je näher der Tag kam, an dem sie ihn verlieren mußte. Ach, es konnte ja kein Zweifel sein, wie ihre Antwort lauten würde. An seiner Seite ausharren, mit ihm leiden, wie wenig war das! Ihn das Sterben erwarten sehen, diese monatelange Todesangst mit ihm durchkosten, alles das war wenig. Sie will mehr für ihn tun, das Beste, das Höchste. Wenn sie ihm verspräche, sich auf seinem Grabe zu töten, so ging er mit dem Zweifel dahin, ob sie wirklich es auch tun würde. Mit ihm, nein –
vor
ihm will sie sterben. Wenn er die Frage an sie richten wird, so wird sie die Kraft haben, zu sagen: »Machen wir der Pein ein Ende! Sterben wir zusammen, und sterben wir gleich!« Und während sie sich an dieser Idee berauschte, erschien ihr jenes Weib, dessen Bild sie eben noch gesehen, – das durch die Felder eilte, vom kosenden Morgenwind umspielt, hinstürmend, dem Leben und der Freude entgegen, und das sie selbst war, – erbärmlich und gemein.
Der Tag, an welchem sie abreisen wollten, brach an. Ein wunderbar milder Morgen, als kehrte der Frühling wieder. Marie saß schon auf der Terrasse, und das Frühstück war bereit, als Felix aus dem Wohnzimmer trat. Er atmete tief auf. »Ah, ist das ein herrlicher Tag!« –
»Nicht wahr?«
»Ich will dir was sagen, Marie!«
»Was?« Und rasch setzte sie fort, als wollte sie ihm die Antwort vom Munde nehmen: »Wir bleiben noch hier?«
»Das nicht, aber wir wollen nicht gleich nach Wien zurück. Ich befinde mich heute nicht übel, gar nicht so übel. Wir wollen uns noch irgendwo auf dem Wege aufhalten.«
»Wie du willst, mein Schatz.« Ihr wurde mit einem Male innerlich so wohl, wie lange nicht. So unbefangen hatte er die ganze Woche über nicht gesprochen.
»Ich denke, Kind, wir halten uns in Salzburg auf.«
»Ganz, wie du willst.«
»Nach Wien kommen wir noch immer früh genug, wie? Auch ist mir die Eisenbahnfahrt zu lang.«
»Nun ja«, meinte Marie lebhaft, »wir haben ja auch keine Eile.«
»Nicht wahr, Miez, es ist alles gepackt?«
»Aber längst, wir können auf der Stelle weg.«
»Ich denke, wir fahren mit dem Wagen. Eine Fahrt von vier bis fünf Stunden, und viel angenehmer als mit der Bahn. Da liegt immer noch in den Kupees die Hitze von gestern.«
»Ganz, wie du willst, mein Schatz.« Sie forderte ihn auf, sein Glas Milch zu trinken, und dann machte sie ihn auf den schönen, silbernen Schimmer aufmerksam, der auf den Kämmen der Wellen spielte. Sie sprach viel und überlustig. Er antwortete freundlich und harmlos. Endlich erbot sie sich, den Wagen zu bestellen, mit dem sie mittags nach Salzburg fahren wollten. Er nahm lächelnd an, sie setzte rasch den breiten Strohhut auf, küßte Felix ein paarmal auf den Mund und lief dann auf die Straße.
Er hatte nicht gefragt – und er wird auch nicht fragen. Das stand deutlich auf seiner heiteren Stirne. Es lag auch heute nichts Lauerndes in seiner Freundlichkeit wie sonst zuweilen, wenn er ein harmloses Gespräch so recht absichtlich mit einem bösen Wort zerschnitt. Wenn so etwas kommen sollte, hatte sie's immer früher gewußt, und nun war ihr, als hätte er ihr eine große Gnade erwiesen. In seiner Milde war etwas Schenkendes und Versöhnendes gewesen.
Als sie auf den Balkon zurückkehrte, fand sie ihn, die Zeitung lesend, die während ihres Fortseins angelangt war.
»Marie«, rief er, indem er sie mit den Augen näher heranwinkte, »etwas Sonderbares, etwas Sonderbares.«
»Was denn?«
»Lies doch! – Der Mann – na, der Professor Bernard ist gestorben.«
»Wer?«
»Der – nun der, bei dem ich – ach der, der mir so trübe Aussichten gestellt hat.«
Sie nahm ihm die Zeitung aus der Hand. »Wie, der Professor Bernard?« Auf den Lippen lag ihr: »Geschieht ihm schon recht!« aber sie sprach es nicht aus. Beiden war es zumute, als hätte dieses Ereignis für sie eine große Bedeutung. Ja, er, der mit der ganzen vorlauten Weisheit seiner unerschütterlichen Gesundheit dem Hilfesuchenden jede Hoffnung genommen, nun war er
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