Erzaehlungen
erst, als wäre er von einem gegebenen Worte entbunden, bemerkte Doktor Mülling: »Die Wahrheit zu sagen, ich habe es kommen gesehen; allerdings hatte ich es schon im vorigen Jahr erwartet. Beide, sowohl unser Freund Loiberger als Frau von Urpadinsky – Sie haben ja die Frau des Rittmeisters nie gesehen, schade – benahmen sich so unvorsichtig als nur möglich. Der ganze Ort wußte von der Sache, nur der Rittmeister selbst, obwohl er gar nicht selten aus seiner Garnison zu Besuch nach St. Gilgen kam, hatte keine Ahnung. Erst im Winter soll er anonyme Briefe erhalten haben, dann ging er der Sache nach und endlich, offenbar unter der ewigen Marter seiner Fragen, scheint seine Frau gestanden zu haben. Dann machte sich das übrige von selbst.«
»Unbegreiflich«, sagte ich.
»Inwiefern unbegreiflich?« fragte Mülling.
»Wenn man eine solche Frau hat wie Loiberger – ich hielt es für die glücklichste Ehe.« Ich sah Frau Agathe vor mir, die aussah wie ein junges Mädchen, wie eine Braut, wahrhaftig, wenn man sie beide zusammen sah, Eduard und Agathe, hätte man sie eher für ein Liebespaar halten können – nach einer vier-oder fünfjährigen Ehe – als für ein Ehepaar. Der Ausflug vor vierzehn Tagen auf den Eichberg, als wir mittags in der Sonne lagerten – wir waren sieben oder acht Personen – eigentlich hasse ich ja diese Massenausflüge und ich für meinen Teil hatte mich nur wegen Mademoiselle Coulin angeschlossen – Agathe schien zu schlummern oder sie schloß nur die Augen, weil die Sonne sie blendete, er strich ihr mit den Fingern über Haar und Stirn, sie lächelten und flüsterten wie ein junges verliebtes Paar.
»Und glauben Sie«, sagte ich zu Mülling, »daß Frau Agathe irgend etwas geahnt hat?«
Mülling zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht. Jedenfalls hat sie von dem bevorstehenden Duell nichts geahnt und weiß bis zu dieser Stunde nicht, daß ihr Mann tot ist.«
Jetzt erst mit einer Art von Schrecken verspürte ich, daß uns der fahrende Zug der unglücklichen Frau immer näher brachte. »Wer soll es ihr sagen?« fragte ich.
»Es wird wohl nichts übrig bleiben, als daß wir beide –«
»Wir können unmöglich zu zweit antreten wie Komiteemitglieder«, dachte ich, »die eine Balleinladung überbringen.«
»Wir hätten doch gleich von dort aus telegrafieren sollen«, sagte ich laut.
»Die Depesche«, sagte Mülling, »hätte ja doch nur eine Art von Vorankündigung sein können. Über die mündliche Berichterstattung kommen wir doch nicht weg.«
»Ich will es übernehmen«, sagte ich.
Darüber gab es dann noch eine längere Diskussion. Sie war noch nicht zu Ende, als unser Zug im Bahnhof Ischl einfuhr. Es war ein herrlicher Sommertag, auf dem Bahnsteig ein Gedränge von Ankommenden, Ausflüglern, Erwartenden, – auch Bekannte waren darunter, es war nicht ganz leicht, aus dem Stationsgebäude ungehindert auf die Straße zu gelangen; aber endlich saßen wir im Wagen, ohne daß einer an uns herangekommen wäre und sausten auch schon davon. Der Staub wirbelte hinter uns her, die Sonne brannte heftig, wir waren froh, als der Ort hinter uns lag und wir auf die Landstraße und bald in den Wald bogen.
Noch ehe wir von der letzten Straßenbiegung aus die ersten Bauernhäuser des Dorfes erblickten, hatte sich Doktor Mülling damit einverstanden erklärt, daß ich als der Fernerstehende Frau Agathe Loiberger die Trauernachricht bringen sollte.
Der See lag da glitzernd von tausend winzigen zerrissenen Sonnen. Vom gegenüberliegenden Ufer her, das im Dunste der Überhelligkeit sich verschleierte, näherte sich spielzeughaft das putzige Dampfschiff, dessen Schaukelwellen das badende junge Volk sich immer entgegenfreute. Bald hielten wir vor dem Gasthof, der sich ohne zureichenden Grund als »Grand Hotel« bezeichnete; ich stieg aus, Doktor Mülling ließ sich von dem Kutscher weiterfahren zu der Villa, in der er ein Zimmer gemietet hatte, drückte mir die Hand und erklärte, daß er mich um vier Uhr nachmittag aufsuchen wolle.
Ich vertauschte den Touristenanzug, der mir für meine Mission doch wenig angemessen schien, mit einem dunkelgrauen und wählte mit Bedacht eine schwarzgestreifte Krawatte. Ich war am Ende nur auf meinen Geschmack, ja auf meine Intuition angewiesen, denn für einen Besuch, wie er mir bevorstand, gab es begreiflicherweise keine allgemein gültigen Vorschriften. Bedrückten Herzens machte ich mich auf den Weg.
Seitab hinter dem Gasthof führte ein abkürzender Pfad
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