Erzaehlungen
sie mir nachts im Garten mit ihren schmalen Fingern durch die Haare gefahren war, und jenes Grußwort klang mir zärtlich durch den Sinn: »Kind.« Ich hatte all das nicht verstanden, zu verstehen nicht gewagt. Denken Sie, wie jung ich war! Es war das erste Mal, daß eine schöne, junge Frau, eine Frau, die ich für eine liebende und geliebte Gattin hielt, mir das Geschenk ihres Herzens zu bieten schien. Wie hätte ich das erwarten dürfen? Und wenn sie nun ihrer Freude über mein Kommen so unverhohlen Ausdruck gab, so bedeutete das nichts anderes, als daß sie mich für ungeduldig und für verliebt genug hielt, um mit voller Überlegung die Abwesenheit ihres Gatten zu diesem unvermuteten und verwegenen Besuch zu benützen.
»Es ist serviert, gnädige Frau.«
Eine leichte Bewegung Agathens. Ich wandte mich um. Wir traten ins Nebenzimmer. Es war Agathens Boudoir, das Fenster stand offen, weiße Gardinen schlössen uns gegen draußen ab, Garten und Luft schimmerten mit unbestimmten Farben durch.
Wir saßen einander gegenüber, Agathe und ich. Der Diener, jetzt in dunkelblauem Lüstersakko mit Goldknöpfen, ging aus und ein und servierte. Es war mit erlesenem Geschmack gedeckt. Ein einfaches Mahl, und als Getränk nichts als Champagner. Unser Tischgespräch war völlig harmlos und mußte es sein, dabei aber gänzlich ungezwungen, nicht nur von ihrer, sondern auch von meiner Seite. Doch während wir von den Alltäglichkeiten und kleinen Begebenheiten des Landlebens sprachen, von abgetanen und geplanten Ausflügen, von der bevorstehenden sonntäglichen Regatta, der voraussichtlichen Teilnahme und den Chancen Loibergers – obwohl ich keinen Augenblick vergaß, daß Eduard tot war, und daß ich nur hergekommen war, um es seiner Gattin zu berichtenempfand ich mein Hiersein, dieses Aug in Aug-Sitzen und Sprechen mit Agathe, das leise Flattern der Fenstervorhänge, das schweigsame Erscheinen und Verschwinden des Dieners keineswegs als traumhaft, sondern eher als eine andere, geringere Art von Wirklichkeit. Aus dieser andern Wirklichkeit schrillte auch das Pfeifen des kleinen Dampfers zu uns her, in dieser Wirklichkeit wußte ich den See liegen unten im Mittagsglanz, in diese andere war auch Aline wieder zurückgekehrt, und dort lag auch der Mann, den ich heute morgens tot am Waldesrand hatte hinsinken sehen. Wirklicher als all das war, was zwischen Agathe und mir hin und her schwebte, war nicht, was sie sagte, doch der Ton ihrer Stimme, war ihr Blick, ihr Wunsch, war unser Verlangen.
Das Mahl war zu Ende. Der Diener kam nicht wieder, wir waren allein.
Agathe stand vom Tische auf, sie trat auf mich zu, nahm meinen Kopf in beide Hände und küßte mich auf die Lippen. Es war kein glühender Kuß, er war eher milde, mehr Güte als Leidenschaft war in ihm, er war geschwisterlich und doch berauschend, er war Feierlichkeit und Wollust zugleich.
Und später, von ihrem Arm umschlungen, glitt ich in tausend Träume.
Wir lagen auf einen Wiesenhang hingestreckt; es war der gleiche, auf dem sie neulich erst an Eduards Seite gelegen war. Ich wundere mich, daß sie so ruhig ist, ohne jede Angst, irgend etwas Furchtbares ist ja geschehen – ich weiß nicht was, denke auch nicht darüber nach, aber ich weiß, daß wir fort müssen, so weit als möglich. Dann sitzen wir in einem Eisenbahncoupe; das Fenster ist offen, die Vorhänge, nicht befestigt, fliegen hin und her, zerrissene Bilder wechselnder Landschaften rasen vorbei, Wälder, Wiesen, Zäune, Felsen, Kirchen, vereinzelte Bäume, unbegreiflich schnell und ohne jeden Zusammenhang. Rasch genug, niemand kann uns nach, nicht einmal die Leute, die im gleichen Zug fahren; es ist unfaßbar, aber doch ist es so. Plötzlich höre ich ihren Namen draußen rufen, ich weiß, es ist ein Telegraphenbote, der sie sucht. In mir ist nur die Angst, daß sie es hören könnte. Aber der Name klingt immer leiser, endlich verklingt er ganz, und der Zug rast weiter. Wir reisen, ja, wir reisen – wir reisen immerfort. Jetzt sind wir in einem Spielsaal – es wird wohl Monte Carlo sein. Wie kann ich nur zweifeln? Natürlich ist es Monte Carlo. Agathe sitzt am Spieltisch mitten unter anderen Leuten, sie ist schön, sie ist ganz ruhig, sie spielt, sie verliert, sie gewinnt, ich schaue nach allen Seiten aus, ob niemand da ist, der sie kennt und ihr vielleicht verraten könnte, daß ihr Gatte tot ist. Aber es sind ja lauter fremde Leute – braune, gelbe Gesichter, auch ein Indianer sitzt am Spieltisch mit
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