Erzählungen
vor eine Türe, eine kleine, niedere Türe, wie für einen Wandschrank. Das wird das richtige sein, denk' ich mir. Aber es steckt kein Schlüssel im Schloss. Und eine Klinke ist auch nicht vorhanden. Ich will schon weitergehen, da hör' ich hinter der Türe ein Winseln, wie von einem eingesperrten Hund. Eine Bieridee! denk' ich. Ein Tier in einer finsteren Kammer einzusperren! Das muss ich dem Notar sagen; denn das Einsperren verdirbt die Hunde; ich habe die Erfahrung selbst gemacht, mit einem Schäferhund, den ich immer einsperrte, wenn ich fort musste. Das Winseln wird stärker, wie ich da vor der Türe stehe. Da rufe ich ein paar tröstende Worte durch das Holz: Braver Hund! oder so ähnliches; denn das Tier tut mir leid. Dann suche ich weiter, und plötzlich steht der alte Notar vor mir, faucht mich an und sieht aus wie ein Kater, den man in seinen Liebesangelegenheiten gestört hat. Ich soll hier nicht herumspionieren; was hier vorgehe, gehe mich gar nichts an – und dann sagt er noch, zum Abschluss gewissermassen: »Verstehen Sie, ich sage die Sachen gerade heraus, damit die Leute wissen, woran sie sind.«
Ich denke mir mein Teil, setze mein öligstes Kundenlächeln auf und frage ihn, wo ich frisches Wasser finden kann.
»Im untern Stock«, knurrt er böse. »Und machen Sie nicht zuviel Krach! Meine Frau ist sehr schreckhaft.«
»Das weiss ich schon«, sage ich und wünsche ihm eine gute Nacht. Der alte Kracher gibt mir keinen Bescheid, humpelt davon. Am liebsten hätt' ich ihm eine geklepft ...
Wie ich dann wieder im Bett liege, kann ich nicht einschlafen. Ich höre Flüstern im Gang, dann dreht sich ein Schlüssel in einem Schloss, das Winseln wird deutlicher, es klingt bösartig – ein Schrei steigt auf, ein langgezogener Schrei, und es klatscht. Ein Riemen wird geschwungen, ein Riemen knallt auf einen Körper, der Schrei wird stärker ... Misch dich in deine Angelegenheiten! denk ich. Nach und nach wird der langgehaltene Schrei schwächer, wandelt sich wieder in ein Winseln. Und endlich verstummt auch dies. Ich kann einschlafen.
Sie wissen ja, wie das ist, wenn man schläfrig ist oder Zahnweh hat oder Bauchweh. Dann will das Mitleidsgefühl nicht mehr recht funktionieren. Man hat genug mit sich selbst zu tun und nur Gleichgültigkeit übrig für die Leiden seiner Mitkreaturen.
Am nächsten Morgen hat mir die Jungfer Emma pünktlich mein Frühstück gebracht. Der Kaffee war stark und ohne Zusatz gekocht – das riecht so ein alter Hotelwanderer wie ich auf fünf Schritte –, auch die Eier waren frisch und der Speck richtig gebraten. Ich hab' mich ein wenig geniert vor dem Meitschi; denn ich seh' nicht schön aus am Morgen, unrasiert, mit einem verschlissenen Nachthemdkragen. Dazu kommt noch, dass meine Glatze gut zu sehen ist, wenn ich meine Haare nicht auf eine bestimmte Manier gestrählt habe. Die Emma sieht müde aus, immer wieder habe ich an ein Pferd denken müssen, wenn ich sie sah. Aber an ein Pferd, das man zu früh an die Deichsel gespannt hat und zu schwer hat ziehen lassen. Sie hat das Tablett mit dem Frühstück abgestellt und wieder fort wollen. Aber ich habe sie doch gefragt – denn ich binneugierig, und meine Neugier ist stärker als meine Eitelkeit –: »Warum sperren Sie eigentlich Ihren Hund ein?« – Sie antwortet nichts. Zwei Falten zerschneiden die Haut um den Mund. Und sie sieht plötzlich alt und böse aus. Dazu schaut sie zum Fenster hinaus, obwohl dort nur ein Schornstein zu sehen ist. Der gehört zu einer Fabrik, wie sie jetzt überall auf dem Lande aus dem Boden schiessen: irgend so eine Hackmaschine für Murtenchabis. Dann geht die Emma fort und schletzt die Türe, trotz der herzkranken Mutter.
Wie ich dann die Stufen hinuntergegangen bin, ist mir die Mutter begegnet. Verfallen hat sie ausgesehen – verfallener als der Notar ... Rote Augen, Verzweiflung im Gesicht: Die Verzweiflung ist darauf gesessen, wie eine Maske. Nein, schon damals habe ich mir gedacht, dass nicht alles stimmt in diesem Hause.
Am Abend bin ich dann noch in die Wirtschaft gegangen, trotzdem ich müd' war wie ein Hund. Den ganzen Tag im Regen herumgefahren, auf diesen verfluchten Strassen, auf denen an jeder Biegung ein Karren voll Mist steht und den Weg versperrt und die Rueche meinen, die Strassen gehören ihnen. Dazu die Krämer in den kleinen Dörfern, die jeden Reisenden empfangen, als gehöre er einer Einbrecherbande an und wolle auskundschaften, wo ihr Geld sei. Man muss freundlich
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