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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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aber um Gottes willen kein Wort reden! Ein wenig Mitleid hatte er mit dem Mann, vielleicht war er doch ein wenig verrückt gewesen? Aber gerade in das Mitleid hinein stachen ihm wieder die seidengestickten Blümlein auf des Bauern Samtkappe in die Augen. Die Finger, die das gestickt hatten, die waren verfault, die hatten sich vielleicht im Todeskampf gebogen, und niemand hatte ihnen geholfen, den Fingern. Er war wohl auch beschwipst, der Wachtmeister, dass ihm solche Gedanken kamen. Jetzt sprach der andere wieder: »Ja, wegen dem Fliegen. Der Grossätti hat es doch in seinem Buch geschrieben gehabt, nach der siebenten toten Ehefrau da bekommt man die Gewalt, da kann man fliegen. Ihm ist's fast gelungen, aber die siebente hat ihn überlebt. Sonst... sonst hätte er fliegen können.«
    »Aber Mensch«, brüllte ihn der Wachtmeister an (er brülltewirklich, so etwas Verrücktes, und der viele Schnaps den ganzen Nachmittag). »Aber Mensch, und die Alpenflüge? Auf jedem Flugplatz kannst du doch fliegen.«
    Da blickte ihn der Leuenberger unendlich überlegen an, seine Augen versteinten wieder, das alte Leuchten durchstach die Pupillen, und ganz leise, mit seiner alten, tönenden Stimme sagte er: »Und die Unsterblichkeit? Kann ich die mir auch auf dem Flugplatz kaufen? Es heisst: Und wirst fliegen können bis ans Ende der Tage der Welt, und nichts wird dir verborgen sein.« Er sprang auf, holte eins der alten Bücher vom Wandbord, schlug es auf. Mühsam entzifferte der Wachtmeister die altertümliche Handschrift. Ja, da stand es. »Bis ans Ende der Tage.«
    Er nahm das Buch unter den Arm. »Komm jetzt mit, Leuenberger«, sagte er sanft. »Das andere wird sich finden.«
    Sie zogen den Berg hinab, durch das stille Dorf. Der Leuenberger wehrte sich nicht. Im kleinen Städtchen lieferte ihn der Wachtmeister ins Bezirksgefängnis ein, nach einer telephonischen Unterredung mit Bern.
    Aber der Wachtmeister Studer kam um seinen wohlverdienten internationalen Ruhm, das »Journal« brachte weder sein Bild noch eines jener schmeichelhaften Beiwörter, die von den Franzosen so gut beherrscht werden; denn der Leuenberger erhängte sich in der gleichen Nacht in seiner Zelle. Und niemand weiss, ob seine Seele nicht doch das Fliegen gelernt hat.

Der Hund
    Ich weiss ja nicht, wo Sie arbeiten und was Sie für Ansichten haben, junger Mann ... – Ja, ein kleines Helles, Jungfer ... – Aber gerade heute ist es mir so recht einsam zumute. Witze haben wir uns genug erzählt, all die letzten Abende, und der Dritte, der sonst mit uns einen Zuger gemacht hat, ist heute auch nicht da. Soll ich Ihnen einmal eine ernste Geschichte erzählen? Natürlich, Sie glauben, dass wir Reisende es immer leicht haben, aber einmal bin ich durch Zufall in eine komplizierte Affäre hineingerissen worden, und das war unangenehm. Denn so etwas stört bei der Arbeit, Und wenn wir nicht immer auf dem Sprung sind und die Kunden bearbeiten, dann kommt ein Jüngerer und stösst uns beiseite.
    Nein, Komplikationen liegen mir gar nicht. Ich bin dick und gemütlich, das kann ich sagen, habe auch nie jemandem etwas zuleide getan. Aber die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, hat mich doch eine ganze Zeitlang aus dem Gleichgewicht gebracht, und ich frage mich noch heute, ob ich da nicht etwas hätte verhindern können. Auf alle Fälle hat sie mich vom Heiraten endgültig kuriert ... Und auch von den möblierten Zimmern. Dinge können einem da passieren! ...
    Ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass ich für eine Zigarettenfabrik reise, für eine bekannte Marke, aber die Direktoren wollen eben auch auf ihre Rechnung kommen. Nun, ich habe es mir vielleicht ein wenig zu wohl sein lassen in Zürich, war nicht genug hinter den Kunden her, ein paar haben reklamiert, der Reisende sei nicht zur rechten Zeit vorbeigekommen, ihr Vorrat sei aufgebraucht. Mehr ist nicht nötig gewesen. Der Direktor hat mir die Kutteln geputzt und mir einen andern Rayon gegeben. Irgend so ein kleines Kaff, von dem aus ich die Krämer der Umgebunghätte besuchen sollen. Froh war ich, dass er mich nicht entlassen hat, aber ich verstehe das Geschäft, es war also mehr eine Art Strafversetzung; denn ich bin schon Jahre und Jahre in der Branche und sonst ganz brauchbar. Es war ein wüstes kleines Dorf, in das ich gekommen bin. Es ging auf den Abend zu, und ich war müde; denn ich bin den ganzen Tag mit dem Töff herumgefahren. Zuerst bin ich in eine Wirtschaft gegangen, habe etwas gegessen und so nebenbei

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