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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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den Wirt gefragt, wo hier ein möbliertes Zimmer frei sei. »Gehen Sie zum Notar Schneider«, hat er gesagt, »der sucht schon lange einen Mieter. Aber es sind ungemütliche Leute. Irgend etwas stimmt nicht bei ihnen. Man weiss nicht was. Eine Garage haben sie auch, wo Sie Ihr Motorrad einstellen können, und die Emma, das ist die Stieftochter vom Notar, ist ein flottes Meitschi. Man mag sie gern hier.«
    Ich fuhr also zum Notar. Eine Jungfer machte mir auf. Ein währschaftes Meitschi, mit einem Gesicht ... Und die Augen!... Ich muss an ein junges Pferd denken. Sie trägt einen unordentlichen Haarknoten im Nacken ... Sie hat mir gleich gefallen. Dann hat sie mir das Zimmer gezeigt. Es war ganz anständig, mit Diwan und einem grossen Schrank. Fünfzig Franken im Monat ... Und das Frühstück könne ich auch haben, wenn ich wolle ... Ich war sehr höflich.
    »Frühstück nehme ich schon gern«, sag' ich, »aber ich muss etwas essen, was vorhält, weil ich bis Mittag zu tun habe und das Töffahren hungrig macht. Speck und Eier möcht' ich. Über den Preis werden wir uns schon einigen«, meine ich. Dann zahl' ich die fünfzig Franken, das Meitschi gibt mir den Hausschlüssel und sagt noch, ich solle doch leise machen, wenn ich spät heimkomme; denn die Mutter sei herzkrank und erschrecke leicht, wenn man die Türen zuschlage. Ich antworte: Sie brauche keine Angst zu haben, wir schweren, dicken Männer seien manchmal viel leiser als die jungen, mageren Fisel, die so ungeschickt sind, dass sie an keinem Stuhl vorbeikönnen, ohne ihn umzuschmeissen.Da hat sie lachen müssen, die Emma. Schöne Zähne hat sie gehabt, wissen Sie: so breite ... Vielleicht war das ein Grund mehr, dass sie wie eine junge Stute ausgesehen hat – und ich habe Pferde gern.
    Beim Wirt habe ich noch einen Zweier getrunken, Zeitungen gelesen (es war grad niemand da, der einen Jass hat klopfen wollen), und ich hab' angefangen, mich mit meiner Strafversetzung auszusöhnen. Das Haus, in dem ich wohnen sollte, hat mir zwar nicht so recht gefallen, es sah aus, wie eben ein verschuldetes Haus aussieht. Und die Luft drin hat mir doch ein wenig den Atem verschlagen, wie ich die Stiegen hinauf bin. Aber ich hab' mir gedacht, das ist nur Einbildung. Man muss sich wieder an die Atmosphäre der Dorfhäuser gewöhnen, wenn man aus der Stadt kommt. Da gibt's nichts anderes.
    Um zehn Uhr bin ich heimgegangen. Mein Töff hatte ich in die Garage gestellt, ich hab' die Haustür leise aufgesperrt, und da seh' ich die ganze Familie unter einer Petroleumlampe um einen runden Tisch im Zimmer sitzen. Die Türe zum Gang ist weit offen, die Emma liest in einem Buch, der Notar, ein dürrer, alter Mann mit einer unregelmässigen Glatze, die aussieht, als hätten ihm die Ratten hier und dort ein Büschel Haare herausgenagt, tut nichts; er hockt nur da und starrt auf seine Nägel. Ein wenig im Schatten, zwischen der Jungfer und dem Alten, sitzt ein gebücktes Weiblein, mit gebleichten Haaren. Die hält ein Strickzeug in der Hand, und die Nadeln bewegen sich so langsam, dass es aussieht wie eine Zeitlupenaufnahme im Kino. Die drei haben mich nicht kommen hören. Ich mache die Türe leise zu, aber wie ich weitergehe, knarren meine Stiefel. Sie können es mir glauben oder nicht: Ich kann Schuhe kaufen, wo ich will, immer knarren die Sohlen. Schon als ich klein war, ist es so gewesen, es ist eine Art Fluch, der über meinem Leben liegt, diese knarrenden Schuhe; aber daran kann man eben nichts ändern.
    Der Notar schaut auf, die Emma kommt auf mich zu, nimmt mich an der Hand und zieht mich ins Zimmer.Dann stellt sie mich vor. Der Alte knurrt mich an, die Mutter reicht mir zwei Finger. Und dann kann ich wieder gehen. Die Emma lächelt mir nach. Herzlich war die Begrüssung nicht.
    Wie ich schon im Bett liege und das Elektrische ausgedreht habe, merke ich, dass ich durstig bin. Ich zünde wieder an, aber das Wasser in der Flasche ist abgestanden, und das Glas ist mit kleinen Blasen tapeziert. Bei einem grossen Hellen mag ich das nicht ungern sehen – aber beim Wasser!... Nein! Da wirkt es wie ein Brechmittel auf mich. Also geh' ich mir frisches Wasser holen, denk' ich, ziehe den Schlafrock an, schlürfe in die Pantoffeln und gehe auf die Suche nach dem Wasserhahnen. Im Gang hat eine rötliche Birne gebrannt. Wissen Sie, eine von den halbausgebrannten Kohlenfadenlampen. Ich probiere ein paar Türen, aber entweder waren sie verschlossen oder es waren Schlafzimmer. Schliesslich komme ich

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