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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Wirtshauses. Es war laut, doch nicht anhaltend. Außerdem erkannte Frau Deluc nicht nur das Schultertuch wieder, sondern auch das Gewand, mit dem der gefundene Körper bekleidet war.
    Ein Omnibuskutscher, Valence mit Namen, sagte nun ebenfalls aus, daß Marie Rogêt an dem betreffenden Sonntag mit einem jungen Manne von dunklem Teint in einer Fähre über die Seine gefahren sei. Er habe Marie sehr gut gekannt und könne sich über ihre Person nicht getäuscht haben. Die in dem Dickicht gefundenen Gegenstände wurden von den Angehörigen der Unglücklichen sofort als von ihr stammend erklärt.
    Die ganze Menge der Aussagen und Ergebnisse, die ich mir auf Dupins Anraten aus den Zeitungen sammelte, enthielt außer dem Angeführten nur noch einen weiteren Punkt, der mir jedoch von äußerster Tragweite zu sein schien. Kurz nach der Entdeckung der eben erwähnten Kleidungsstücke fand man in der Nähe des Ortes, den man jetzt allgemein für den Schauplatz des Verbrechens hielt, den entseelten oder fast entseelten Körper Saint Eustaches, des Verlobten von Marie. Neben ihm lag ein leeres Fläschchen mit der Aufschrift ›Laudanum‹. Sein Atem bewies, daß er das Gift genommen hatte.
    Er starb, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Man entdeckte einen Brief bei ihm, in welchem er kurz seiner Liebe zu Marie und der Absicht, sich das Leben zu nehmen, Ausdruck gab.
    »Ich brauche Ihnen wohl kaum zu bemerken«, sagte Dupin zu mir, nachdem er mein gesammeltes Material durchgelesen hatte, »daß dies eine weit verwickeltere Sache ist als der Fall in der Rue Morgue; sie unterscheidet sich von diesem in einem wesentlichen Punkte. Dies neue Verbrechen ist trotz seiner Scheußlichkeit doch immerhin ein gewöhnliches. Es hat nichts von dem Übermäßigen, gewaltsam Grotesken an sich, das damals die Köpfe so sehr verwirrte. Sie haben wohl schon bemerkt, daß man eben deshalb die Aufklärung des Geheimnisses für leicht gehalten hat, obwohl gerade dieser Umstand die Lösung des Rätsels erschwert.
    Man hielt es anfänglich für unnötig, eine Belohnung auszusetzen.
    Die Beamten des Präfekten begriffen auf der Stelle, wie und warum ein solch gräßliches Verbrechen begangen werden konnte. Sie konnten sich eine Art, mehrere Arten der Ausführung, einen Beweggrund, mehrere Beweggründe denken, und da es nicht unmöglich war, daß einer dieser Beweggründe, eine dieser Arten tatsächlich vorlag, hielten sie es bald für eine ausgemachte Sache, daß einer derselben vorliegen müsse.
    Die Leichtigkeit, mit der man verschiedene Vermutungen aufstellen konnte, und vor allem die Wahrscheinlichkeit, welche jede von ihnen mit Recht für sich in Anspruch nehmen durfte, hätte man eher als erschwerendes denn als erleichterndes Moment betrachten sollen. Ich habe schon bemerkt, daß die Vernunft bei ihrem Streben nach Wahrheit sich dadurch ihren Weg zu bahnen versucht, daß sie sich die Dinge, die über das Niveau des Gewohnten hinausgehen, zu Merksteinen nimmt, und daß man sich in Fällen wie der vorliegende nicht fragen sollte: ›Was ist geschehen?‹, sondern: ›Was ist geschehen, das vorher noch nie vorgekommen ist?‹
    Bei den Nachforschungen im Hause der Frau L’Espanaye waren die Leute des Polizeipräfekten gerade durch die ungewöhnlichen Umstände, welche die Tat begleiteten, entmutigt und verwirrt, während sie einem guten Denker als Vorzeichen baldigen Erfolges erscheinen mußten. Derselbe Denker aber wäre über den gewöhnlichen Charakter aller Einzelheiten in der Angelegenheit der Parfümverkäuferin in Verzweiflung geraten – die Beamten des Präfekten nahmen diese Tatsache für eine Bürgschaft leichten Sieges auf.
    In dem Fall der Frau L’Espanaye und ihrer Tochter hegten wir vom Beginn unserer Nachforschungen an keinen Zweifel mehr, daß es sich wirklich um einen Mord handele. Es war von vornherein ausgeschlossen, daß Selbstmord vorlag. Auch in diesem Falle brauchen wir nicht mit der Möglichkeit eines Selbstmordes zu rechnen. Der Leichnam wurde unter Umständen aufgefunden, die über diesen wesentlichen Punkt keine Zweifel entstehen lassen.
    Man hat jedoch die Vermutung zu verbreiten gesucht, der aufgefundene Körper sei nicht der Leichnam der Marie Rogêt, deren Mörder man sucht, auf deren Entdeckung man die Belohnung aussetzte und wegen der allein wir mit dem Präfekten ein Abkommen getroffen haben. Wir beide kennen diesen Herrn sehr gut und wissen, daß ihm gegenüber allzugroßes Vertrauen nicht angebracht ist. Beginnen

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