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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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wir unsere Nachforschungen mit dem gefundenen Körper, finden die Spur des Mörders, entdecken jedoch, daß der Leichnam nicht der von Marie, sondern der irgendeiner anderen Person ist, so ist, nach dem Charakter des Präfekten zu schließen, unsere Mühe ebenso vergeblich, als wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, Marie lebe noch, und sie auch wirklich noch am Leben auffinden. Wir müssen uns also in unserem eigenen Interesse wie um der Gerechtigkeit willen bemühen, die Identität des Leichnams mit der vermißten Marie Rogêt nachzuweisen.
    Die Vermutungen der Etoile haben im Publikum Glauben gefunden, und das Blatt selbst ist von deren Richtigkeit auch vollständig überzeugt, wie aus dem Anfang eines Artikels über diesen Gegenstand hervorgeht: ›Mehrere der heute erschienenen Morgenzeitungen‹, sagt das Blatt, ›sprechen von dem überzeugenden Artikel, der in der Montagsnummer der Etoile erschienen ist.‹
    Mich jedoch hat der Artikel von nichts anderem als von dem Eifer seines Verfassers zu überzeugen vermocht. Wir dürfen nie vergessen, daß unseren Zeitungen im allgemeinen mehr daran liegt, Sensation zu machen, Aufsehen zu erregen, als die Sache der Wahrheit zu fördern. Dies letztere tun sie nur, wenn es sich mit dem ersteren, ihrem Hauptzweck, vereinigen läßt. Die Presse, welche die allgemeine Meinung, so berechtigt diese auch immer sein mag, teilt, ist bei der Menge niemals beliebt, denn sie hält nur den für einen tiefen Denker, welcher ihr mit möglichst beißendem Widerspruch begegnet. In der Logik nicht weniger als in der Literatur findet gerade das Epigramm die schnellste und allgemeinste Anerkennung. Und doch ist es in beiden Fällen – was Verdienstlichkeit angeht – eine niedrigere Art der Ausdrucksweise.
    Was ich hiermit sagen will, ist also kurz: daß eine Mischung von Epigramm und Melodrama in der Idee, Marie Rogêt könne noch leben, nicht aber die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme die Etoile
    bewogen hat, dieser Vermutung, die ihr die Gunst des Publikums gewann, Raum zu geben. Prüfen wir also die hauptsächlichen Punkte der Beweisführung dieses Blattes und hüten wir uns dabei vor dem Mangel an Zusammenhang, der den Ausführungen des genannten Blattes von Anfang an anhaftet.
    Der Verfasser sucht uns zuerst durch die Kürze der Zeit zwischen dem Verschwinden von Marie und der Entdeckung des schwimmenden Leichnams zu beweisen, daß dieser Leichnam nicht der Mariens sein könne. Es liegt in seinem Interesse, diese Zwischenzeit als möglichst kurz dahinzustellen, und um dieses zu erreichen, stellt er ganz willkürlich allerlei bloße Vermutungen auf. ›Es wäre töricht, anzunehmen‹, sagt er, ›daß der Mord, wenn überhaupt ein Mord vorliegt, so früh hätte verübt werden können, daß es den Mördern möglich gewesen wäre, den Leichnam vor Mitternacht in das Wasser zu werfen.‹
    Hier drängt sich uns sofort und ganz natürlich die Frage auf: Wa rum? Warum soll es eine Torheit sein, anzunehmen, daß der Mord schon in den ersten fünf Minuten, nachdem Marie ihr elterliches Haus verlassen hatte, verübt wurde? Warum soll es eine Torheit sein, anzunehmen, daß der Mord in einer beliebigen Straße ausgeführt wurde? Zu allen Stunden und Tageszeiten sind schon Morde vorgekommen.
    Wäre der Mord in irgendeinem Augenblick zwischen neun Uhr morgens und ein Viertel vor zwölf Uhr nachts verübt worden, so hätte der Mörder noch immer Zeit gehabt, den Leichnam noch vor Mitternacht in den Fluß zu werfen.
    Die ganze Vermutung will also nur besagen, daß der Mord nicht am Sonntag vollführt wurde; und lassen wir die Etoile bei dieser Annahme, je nun, so erlauben wir ihr eben, alles anzunehmen, was ihr nur immer einfällt.
    Man kann leicht erraten, daß die Stelle, welche mit den Worten beginnt: ›Es wäre töricht …‹, im Kopfe ihres Verfassers wohl folgendermaßen gestanden hat: ›Es wäre töricht, anzunehmen, daß der Mord, wenn überhaupt ein Mord vorliegt, so früh hätte verübt werden können, daß es den Mördern möglich gewesen wäre, den Leichnam noch vor Mitternacht in den Fluß zu werfen; es ist töricht, sagen wir, alles dieses anzunehmen, und dazu noch (wie wir allerdings fest entschlossen sind), daß der Leichnam erst nach Mitternacht ins Wasser geworfen‹ – ein Satz, der, an sich noch inkonsequent genug, nicht so vollständig widersinnig ist, wie der gedruckte!«
    Dupin fuhr fort: »Hätte ich nur die Absicht, diese Stelle in der Beweisführung der Etoile zu

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