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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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ausgegangen ist, wenn wir von der Aussage absehen, nach der sie selbst diese Absicht ausgesprochen haben soll. Aus ihrem Kleid war ein Streifen herausgerissen, um den Leib geschlungen und verknotet, so daß man den Leichnam wie einen Packen tragen konnte. Wenn der Mord an der Barrière du Roule stattgefunden hätte, wären doch dergleichen Maßnahmen nicht nötig gewesen. Die Tatsache, daß man den Leichnam in der Nähe der Barrière im Wasser schwimmend gefunden hat, ist kein Beweis, daß er auch dort ins Wasser geworfen wurde … Aus einem der Unterröcke des unglücklichen Mädchens war ein zwei Fuß langer und ein Fuß breiter Streifen herausgerissen; den hatten die Täter ihr fest um den Hals gebunden und hinten am Kopf zusammengeknotet, wahrscheinlich, um sie am Schreien zu hindern. Dies konnten nur Burschen getan haben, die keine Taschentücher bei sich hatten.‹
    Ein Paar Tage ehe uns der Präfekt besuchte, ermittelte aber die Polizei einige Umstände, die zumindest die Hauptpunkte in der Beweisführung des Commercial umzuwerfen schienen. Zwei kleine Knaben, die Söhne einer Frau Deluc, waren, als sie in einem Wäldchen in der Nähe der Barrière du Roule herumstreiften, zufällig in ein kleines Dickicht geraten, in welchem sie drei oder vier große Steine fanden, die eine Art Sitz mit Lehne und Fußschemel bildeten.
    Auf dem oberen Stein lag ein weißer Unterrock, auf dem zweiten ein seidenes Schultertuch. Außerdem fanden die Knaben noch Handschuhe, einen Sonnenschirm und ein Taschentuch, in welches der Name Marie Rogêt eingestickt war. An den Brombeerbüschen, die das Plätzchen reichlich umgaben, entdeckten sie verschiedene Fetzen von einem Kleid. Der Boden war zusammengetreten, die Sträucher vielfach geknickt und alle Spuren eines stattgefundenen Kampfes vorhanden. Einige Zäune zwischen diesem Dickicht und dem Fluß waren durchbrochen, und das Aussehen des Bodens ließ mit Sicherheit darauf schließen, daß man eine schwere Last über ihn hingeschleift habe. Eine Wochenzeitung, Le Soleil , brachte über diese Entdeckung folgende Bemerkungen, welche die Stimmung der gesamten Pariser Presse wiedergaben:
    ›Die gefundenen Gegenstände lagen offenbar schon wenigstens drei oder vier Wochen an der Fundstelle, denn sie waren vom Regen ganz verschimmelt, klebten vielfach zusammen und waren vollständig verdorben. Über einige der Gegenstände war schon Gras gewachsen.
    Die Seide des Sonnenschirmes war stark, doch war der obere Teil, der am dichtesten zusammengefaltet war, durch und durch verschimmelt und verfault, so daß er, als man den Schirm öffnete, zerriß. Die Stücke Zeug, welche die Sträucher aus ihrem Kleide gerissen hatten, waren ungefähr drei Zoll breit und sechs Zoll lang. Eines der Stücke hatte den Saum des Rockes gebildet und war ausgebessert gewesen, ein anderes war mitten aus der Bahn des Rockes gerissen, sie sahen aus wie mit Gewalt losgerissene Streifen und hingen an Dornbüschen, etwa nur einen Fuß vom Boden entfernt. Es steht also außer allem Zweifel, daß der Schauplatz dieses schauderhaften Verbrechens entdeckt ist.‹
    Diese Entdeckung führte zu neuen Zeugenaussagen. Frau Deluc bekundet, daß sie in der Nähe des Flusses, der Barrière du Roule gerade gegenüber, ein Gasthaus halte. Die Umgegend ist einsam, ganz außerordentlich einsam. Des Sonntags geben sich dort alle Taugenichtse aus der Stadt ein Stelldichein. Sie setzen in Kähnen über den Fluß. An dem fraglichen Sonntag erschien um drei Uhr nachmittags ein junges Mädchen in Begleitung eines jungen Mannes von dunklem Teint in dem Gasthaus. Sie verweilten dort eine Zeitlang und schlugen dann den Weg in ein nahes dichtes Gehölz ein. Der Frau Deluc war das Kleid des jungen Mädchens aufgefallen, weil es Ähnlichkeit mit einem Gewand besaß, welches eine verstorbene Verwandte von ihr getragen hatte. Das Schultertuch zog ihre Aufmerksamkeit besonders auf sich. Bald nach dem Weggehen des Paares erschien eine Rotte Bösewichter, die sich unter Schreien und Lärmen Essen und Trinken wohlschmecken ließen, das Zahlen jedoch vergaßen und denselben Weg einschlugen, den der junge Mann mit dem Mädchen genommen hatte. Zur Zeit der Dämmerung erschienen sie wieder im Gasthaus, setzten dann über den Fluß und erweckten den Anschein, als seien sie in großer Eile.
    An demselben Abend, bald nachdem es dunkel geworden war, vernahmen Frau Deluc sowie ihr ältester Sohn das Geschrei einer weiblichen Stimme, ganz in der Nähe ihres

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