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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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ist fast unmöglich, daß diese Beweisstücke zufällig an dem Ort, an welchem man sie gefunden hat, zurückgelassen worden sind. Man hatte Geistesgegenwart genug, so wollen wir wenigstens fürs erste annehmen, den Leichnam fortzuschaffen, und doch läßt man weit belastendere Beweisstücke als den Leichnam selbst, dessen Züge die Verwesung schnell unkenntlich machen konnte, auf dem Schauplatz des Verbrechens liegen – ich meine das Taschentuch mit dem Namen der Ermordeten. Wenn dies ein Zufall war, so ist es kein Zufall, der sich hätte ereignen können, wenn eine ganze Rotte den Mord begangen hätte. Er konnte nur einem einzelnen Individuum begegnen. Sehen wir weiter! Eine einzige Person hat den Mord begangen! Der Betreffende befindet sich mit dem Leichnam der Getöteten allein. Entsetzt sieht er sie als tote, bewegungslose Masse vor sich liegen. Die Wut seiner Leidenschaft ist verraucht und Raum genug in seinem Herzen für den Schrecken, den ihm seine Tat nun einflößt. Er fühlt nichts von jener Ermutigung, welche die Gegenwart anderer Personen immerhin einflößt, er ist ja allein mit der Toten! Er zittert und gerät in namenlose Aufregung. Doch bleibt er sich bewußt, daß er den Leichnam beiseite schaffen muß. Er schleppt ihn also in den Fluß, läßt jedoch die anderen Schuldbeweise zurück, denn es ist schwer, ja, fast unmöglich, alles auf einmal fortzuschaffen, und das Zurückgelassene kann er ja leicht nachher holen. Aber auf dem mühsamen Wege zum Wasser verdoppelt sich seine Angst. Von überallher vernimmt er die Stimmen des Lebens. Wohl zehn-, wohl zwanzigmal hört er Tritte und glaubt sich entdeckt. Selbst die Lichter der Stadt erfüllen ihn mit Entsetzen. Endlich, nachdem er oftmals in Todesangst stillgestanden, erreicht er das Flußufer und entledigt sich, vielleicht mittels eines Bootes, seiner gräßlichen Bürde. Aber welche Macht der Erde, welche Drohung, welches Versprechen könnte nun den einsamen Mörder veranlassen, den mühevollen, gefährlichen Weg nach dem unheimlichen Dickicht, das ihn an seine schauderhafte Tat erinnert, zurückzugehen? Er geht nicht zurück, komme, was da wolle. Er kann nicht mehr zurück, selbst wenn er wollte. Er hat nur noch den einen Gedanken: fliehen! Und so wendet er dem unheimlichen, schreckensvollen Gebüsche den Rücken und flieht.
    Wie verhält es sich nun aber, wenn wir eine ganze Rotte als Täter annehmen? Das Bewußtsein, zu so vielen zu sein, hätte sie verwegen gemacht, wenn es in der Brust eines der Erzschurken, aus denen sich solch eine Bande zusammensetzt, je an Verwegenheit fehlte. Ihre Anzahl würde sie vor dem blinden Schrecken bewahrt haben, der in einem solchen Fall ein einzelnes Individuum befällt. Wenn wir annehmen, daß einer, ja zwei oder drei bei der Wegschaffung des Leichnams etwas übersehen hätten, so würde ein vierter den Fehler wieder gutgemacht haben. Sie würden nichts zurückgelassen haben, denn es wäre ihnen möglich gewesen, al es auf einmal fortzuschaffen.
    Sie hätten nicht nötig gehabt, nach dem Dickicht zurückzukehren .
    Erinnern Sie sich jetzt des Umstands, daß aus dem oberen Rock des gefundenen Leichnams ein etwa fußbreiter Streifen vom unteren Saume bis zur Taille aufgerissen, jedoch nicht losgerissen worden war.
    Dieser Streifen war dreimal um die Taille gewickelt und im Rücken zu einer Art Schlinge zusammengeknotet worden. Es geschah das offenbar, um eine Handhabe herzustellen, mittels derer der Körper fortgetragen werden konnte. Hätte jemals eine Anzahl von Männern zu einem solchen Hilfsmittel gegriffen? Waren es ihrer bloß drei oder vier, so boten die Gliedmaßen des Körpers die besten und bequemsten Handhaben – nur ein einzelner konnte auf den Gedanken kommen, den Körper auf die beschriebene Weise fortzutragen; und dies stimmt zu der Tatsache, daß zwischen dem Dickicht und dem Fluß Zäune niedergebrochen waren und daß der Boden Spuren von einer Last aufwies, die über ihn hergezogen, geschleift worden war. Würde sich eine Anzahl von Männern die Mühe gemacht haben, Zäune zu durchbrechen, um einen Körper hindurchzuziehen, den sie in einem Augenblick hinüberheben konnten? Würde überhaupt eine Anzahl Männer einen Leichnam so fortgezogen haben, daß deutliche Spuren davon auf dem Boden zurückblieben?
    Hier müssen wir auf eine Bemerkung des Commercial zurückkommen, auf die ich mich schon einmal bezogen habe. Diese Zeitung sagt: ›Aus einem der Unterröcke des unglücklichen jungen

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