Erzählungen
Übereinkommens erfüllt habe, nun hoffe ich, daß auch du die kleine Bitte nicht vergessen hast, die ich an dich gestellt habe und die du mir zu erfüllen versprochen hast. Laß mich nachdenken! Ja: ich entsinne mich genau der Worte des teuren Versprechens, welches du vergangene Nacht deiner Eugénie gegeben hast. Du sagtest so: ›Es soll geschehen! – Es ist von Herzen gern bewilligt. Für dich opfere ich jede Eitelkeit. Heute nacht werde ich dies Augenglas noch als Lorgnon auf meinem Herzen tragen, aber mit dem ersten Morgenrot des Tages, an welchem ich dich mein Weib nennen darf, werde ich es auf meine Nase setzen – um es in der wenig schönen, aber zweckmäßigen Form einer Brille zu Ehren meiner Angebeteten zu tragen.‹ Waren dies nicht deine Worte, mein teurer Gatte?«
»Ja«, erwiderte ich. »Du hast ein ausgezeichnetes Gedächtnis; und ich denke auch nicht daran, mein Wort zu brechen, schönste Eugénie.
Sieh zu! Sieh nur! Sie steht mir gut, nicht wahr?« und nachdem ich das Ding richtig gestellt hatte, brachte ich es in die geeignete Lage; unterdessen zog Madame Simpson ihre Haube zurecht, legte die Arme übereinander und saß in einer steifen, gezwungenen Haltung ein wenig würdevoll auf ihrem Stuhl.
»Allmächtiger Himmel!« rief ich im selben Augenblick, da ich die Brille aufgesetzt hatte, aus. »Um Gottes willen, was ist denn mit diesen Gläsern los?« und rasch nahm ich sie ab, putzte sie sorgfältig mit meinem seidenen Tuch und setzte sie dann wieder auf.
Doch wenn ich beim ersten Mal überrascht war, verwandelte sich nun meine Überraschung in höchstes Erstaunen – ja in Erstaunen und Entsetzen. Was in aller Welt konnte das bedeuten? Ich traute meinen Augen nicht. War das nicht – war das nicht – Schminke? Und waren dies wirkliche Runzeln auf dem Gesicht Eugénie Lalandes?
Und – Jupiter und alle Götter des Olymps steht mir bei! – was, Götter, was war aus ihren Zähnen geworden? Ich schleuderte die Brille wutentbrannt zu Boden und stellte mich dann bebend vor Zorn gerade vor Frau Simpson hin, in meiner übermenschlichen Wut unfähig, ein Wort zu äußern.
Wie ich schon einmal sagte, sprach Madame Eugénie Lalande, das heißt Simpson, noch weniger gut Englisch als sie schrieb, und deshalb redete sie auch für gewöhnlich nicht in dieser Sprache. Aber der Zorn treibt eine Frau zu allem, und in diesem Fall trieb er Mrs.
Simpson sogar so weit, in einer Sprache sich auszudrücken, die sie kaum verstand.
»Nun wohl, mein Herr«, sagte sie, nachdem sie mir einen Blick voll tiefsten Erstaunens zugeworfen hatte, »nun wohl, mein Herr! Was ist es mit Sie? Haben Sie den Tanz von Saint Veit? Wenn ich Ihn nicht gefalle, weshalb haben Sie gekauft der Katz im Sack?«
»Du Hexe!« schrie ich mit zornerstickter Stimme, »du niederträchtige alte Vettel!«
»Vettel? Alt? Ich bin nicht so sehr alt, ich habe kein einzig Tag mehr als zweiundachtzig Jahren.«
»Zweiundachtzig!« stotterte ich, an die Wand taumelnd. »Da sollen doch zweiundachtzighunderttausend Bomben dreinschlagen! Auf dem Medaillon stand doch siebenundzwanzig Jahre und sieben Monate!«
»Das ist sicher – ganz richtig! – Aber das Porträt ist gemacht worden vor fünfundfünfzig Jahre. Als ich ging mein zweiten Gatten zu heiraten, ließ ich das Porträt machen für die Tochter von mein erster Gatte, Herr Moissart.«
»Moissart?« sagte ich.
»Ja, Moissart!« wiederholte sie, meine Aussprache nachahmend, welche offen gestanden nicht gerade die beste war. »Und was macht das? Kennen Sie Herrn Moissart?«
»Nein, du altes Scheusal! Ich kenne ihn nicht, ich hatte nur einen alten Vorfahren dieses Namens.«
»Dieses Namens? Was haben Sie über diesen Namen zu sagen? Der Name ist von sehr gutem Klang, gerade so wie Voissart. Meine Tochter, Mademoiselle Moissart, heiratete Monsieur Voissart, welches sind beide sehr ehrenwerte Namen.«
»Moissart?« fragte ich, »und Voissart? Was meinen Sie damit?«
»Was ich meine? Ich meine Moissart und Voissart; und was das anbetrifft, meine ich Croissart und Froissart auch, wenn ich Lust habe.
Meiner Tochter ihre Tochter, Mademoiselle Voissart, heiratete Monsieur Croissart, und dann heiratete die Enkelin von meiner Tochter, Mademoiselle Croissart, Monsieur Froissart; wollen Sie vielleicht behaupten, daß dies kein sehr guter Name sei?«
»Froissart sagten Sie?« und ich fühlte, wie ich ohnmächtig wurde.
»Moissart, Voissart, Croissart und Froissart?«
»Ja«, antwortete sie, indem
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