Erzählungen
»Sprich es aus! Du, meine geliebte Eugénie! Meine Einzige! Sprich es aus! Ach, es ist ja schon gewährt, ehe du es ausgesprochen hast.«
»Nun, mein Freund, so bezwingen Sie um Ihrer Eugénie willen jene kleine Schwäche, welche Sie soeben eingestanden haben und welche, ich versichere Sie, so wenig eines wirklich vornehmen Charakters, Ihrer sonst so offenherzigen Natur würdig ist, und die Sie auch sicher, falls Sie diese nicht überwinden, in unangenehme Situationen bringen wird. Sie müssen die kleine Eitelkeit, die Sie dazu bewegt, Ihr Gebrechen zu verheimlichen, ablegen. Denn Sie verleugnen wirklich diesen Fehler, indem Sie die Mittel zur Abhilfe verschmähen. Mein Wunsch ist also der, daß Sie Augengläser tragen.
Doch Sie haben mir meine Bitte ja schon im voraus gewährt! Nun, so nehmen Sie diese kleine Spielerei von mir als Geschenk an. Sie sehen, daß man durch eine kleine Verschiebung eine Brille daraus machen oder anders sie als Lorgnette in der Tasche mitführen kann. Doch wünsche ich, daß Sie sie in der ersteren Form um meinetwillen und für immer tragen sollen.«
Dies Verlangen verwirrte mich nicht wenig, muß ich gestehen.
Aber die Bedingung, die daran geknüpft war, machte jedes Zögern und alle Bedenken zunichte.
»Es sei!« rief ich mit der ganzen Begeisterung, derer ich im Augenblick fähig war. »Es wird von Herzen gern geschehen. Um deinetwillen werde ich jede Eitelkeit unterdrücken. Heute abend werde ich dies köstliche Gut als Lorgnon noch auf meinem Herzen tragen. Aber morgen mit dem ersten Frührot des Tages, der dich mir gibt, werde ich es auf meine Nase setzen und in der wenig schönen, aber zweckmäßigen Form einer Brille zu Ehren meiner Angebeteten tragen.«
Unsere Unterhaltung ging nun auf die Einzelheiten der Anordnungen für den folgenden Tag über. Wie ich von meiner Verlobten erfuhr, war Talbot am selben Morgen von seiner Reise zurückgekehrt.
Ich wollte sofort gehen, ihn zu holen und einen Wagen zu beschaffen.
Die Gesellschaft konnte vor zwei Uhr kaum aufbrechen, und um diese Zeit sollte das Gefährt an der Tür warten. Beim allgemeinen Aufbruch konnte Madame Lalande leicht unbemerkt hineinschlüpfen. Wir wollten dann nach dem Hause eines Priesters fahren, der inzwischen benachrichtigt worden war. Nach der Trauung sollte Talbot wieder heimkehren, während wir uns direkt nach dem Osten begeben wollten, es der Welt überlassend, sich in allen möglichen Vermutungen über die Ursache unseres Verschwindens zu ergehen.
Nachdem wir alles überlegt hatten, verabschiedete ich mich gleich, Talbot aufzusuchen, doch unterwegs konnte ich nicht umhin, in ein erleuchtetes Hotel einzutreten, um das Miniaturbild mit Hilfe des Augenglases zu betrachten. Das Gesicht war von unübertrefflicher Schönheit! Diese großen strahlenden Augen! Diese stolze griechische Nase! Diese üppigen dunklen Locken! ›Ach!‹ sagte ich ganz außer mir vor Freude, ›es ist in der Tat das sprechendste Ebenbild meiner Geliebten!‹ Ich wendete es um und fand die Worte: ›Eugénie Lalande, im Alter von siebenundzwanzig Jahren und sieben Monaten.‹
Ich traf Talbot zu Hause an und erzählte ihm mein ganzes Glück.
Er war natürlich furchtbar erstaunt, gratulierte mir herzlichst und bot mir bereitwilligst seine Mithilfe an. Kurz, wir führten unser Vorhaben buchstäblich aus, und um zwei Uhr morgens, gerade zehn Minuten nach der Trauungszeremonie, befand ich mich mit Madame Lalande, jetzt Frau Simpson, in einem geschlossenen Wagen; wir verließen die Stadt und fuhren nach Nordosten.
Talbot hatte uns geraten, die Nacht durchzufahren und erst in C…, einem kleinen Dorf, zwanzig Meilen von der Stadt entfernt, halt zu machen, dort ein kleines Frühstück zu nehmen, um nach kurzer Rast unsere Reise fortzusetzen. Um vier Uhr erreichten wir den Ort, und der Wagen hielt an der Tür des besten Gasthauses. Ich hob mein angebetetes Weib hinaus und bestellte das Frühstück; inzwischen setzten wir uns in ein kleines Wohnzimmer.
Es war mittlerweile heller Tag geworden, und als ich voll Entzükken den Engel an meiner Seite ansah, fiel mir ein, daß ich zum ersten Mal seit meiner Bekanntschaft mit der schönen Madame Lalande Gelegenheit hatte, diese Schönheit bei Tageslicht zu bewundern.
»Und nun, mein Freund«, sagte sie, meinen Gedankengang plötzlich unterbrechend, »nun, da wir unauflöslich miteinander verbunden sind, da ich deinem leidenschaftlichen Drängen nachgegeben und so meinen Teil unseres
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