Erzählungen
wunderlichen Begebenheiten ist. Ich bin aber fest entschlossen, von jetzt ab nichts mehr zu glauben, was irgend etwas Wunderliches an sich hat.«
»Main Chott! wie dumm muß man sain, um so was zu sagen!« – antwortete mir eine der merkwürdigsten Stimmen, die ich jemals gehört habe.
Anfangs hielt ich sie für ein Summen in meinen Ohren, wie man es oft verspürt, wenn man sehr betrunken ist – dann jedoch schien sie mir mehr Ähnlichkeit mit dem Ton zu haben, den ein leeres Faß von sich gibt, wenn man mit einem dicken Stocke darauf schlägt. Ich würde sie in der Tat für dieses Geräusch gehalten haben, hätte ich nicht die Artikulation der Silben und Worte vernommen. Ich bin von Natur absolut nicht ängstlich, und die unterschiedlichen Glas Lafitte, die ich geschlürft, trugen nicht wenig dazu bei, mir Mut zu verleihen. Deshalb empfand ich auch nicht die geringste Bestürzung, sondern erhob gemächlich meine Augen und ließ sie sorgfältig durch das Zimmer schweifen, um den Eindringling zu entdecken. Doch konnte ich niemanden erblicken.
»Pfui!« ließ sich die Stimme wieder vernehmen, als ich mit meiner Untersuchung fortfuhr, »Sie müssen cha wie ein S-chwain betrunken sain, daß Sie mich nich sehen, wo ich doch cherade vor Ihnen sitze.«
Hierauf fiel es mir ein, auch einmal direkt vor mich hin zu sehen, und da saß wahrhaftig, mir frech gegenüber, eine bis jetzt noch nie beschriebene, aber vielleicht nicht ganz unbeschreibliche Persönlichkeit: Der Körper war ein Wein oder Rumfaß oder etwas Ähnliches und sah im wahrsten Sinne falstaffisch aus. Aus seinem unteren Teile ragten zwei länglichere Fäßchen heraus und schienen die Stelle der Beine zu vertreten. Als Arme hingen von der oberen Partie des großen Fasses zwei ziemlich lange Flaschen herab, deren Hälse den Dienst der Hände versahen. Der Kopf des Ungeheuers bestand in einem jener Flaschenkörbe, die aussehen wie eine riesige Schnupftabaksdose mit einem Loch in der Mitte des Deckels. Dieser Flaschenkorb, den ein Trichter krönte wie ein über die Augen herab gezogener Hut, lag seitlich auf dem Faß, das Loch mir zugewandt, und aus diesem Loch, das verzogen und verrunzelt schien wie der Mund einer sehr ceremoniellen alten Jungfer, entsandte die Kreatur gewisse rumpelnde und brummelnde Geräusche, die sie offenbar für verständliche Reden hielt.
»Ich maine,« begann das Geschöpf wieder, »Sie müssen betrunken sain wie ein S-chwain, daß Sie mich nich chleich chesehen haben, trotzdem ich hier cherade vor Ihnen sitze; und ich maine auch, daß Sie dümmer sain müssen wie ’ne Chans, daß Sie nich chlauben, was in der Druckerei chedruckt wird! Das is die Wahrhait! Chedes Wort is die raine Wahrhait!«
»Bitte, wer sind Sie?« fragte ich voll Würde, obwohl ein wenig erstaunt, »wie kamen Sie hier herein und wovon reden Sie?«
»Wie ich hier rainchekommen bin,« entgegnete das Geschöpf, »das cheht Sie char nichts an; und wovon ich spreche? Nun – ich spreche davon, wovon mich chut dünkt zu sprechen; und wer ich bin? Ich bin cherade darum herchekommen, daß Sie es selber sehen.«
»Sie sind ein betrunkener Vagabund,« sagte ich, »ich werde meinem Diener klingeln, daß er Sie auf die Straße wirft!«
»Hi! hi! hi!« lachte der Kerl, »hu! hu! hu! Was das ancheht – das können Sie cha char nich!«
»Das kann ich nicht?« fragte ich. »Was meinen Sie? Was kann ich nicht?«
»Sie können nicht s-chellen,« erwiderte er und versuchte, mit seinem scheußlichen kleinen Munde zu grinsen.
Daraufhin machte ich eine Bewegung, wie um mich zu erheben und meine Drohung auszuführen; aber der Raufbold neigte sich über den Tisch und versetzte mir mit dem Hals einer seiner langen Flaschen einen solchen Schlag vor die Stirn, daß ich in den Lehnstuhl, von dem ich mich halb erhoben, zurückknickte, Ich war grenzenlos erstaunt und wußte im Moment nicht, was ich machen sollte. Mittlerweile fuhr er in seiner Rede fort:
»Sie sehen,« sagte er, »es ist das beste, wenn Sie chanz stille sitzen. Nun sollen Sie auch wissen, wer ich bin. Ich bin der Engel des Wunderlichen!«
»Wunderlich genug sind Sie allerdings,« wagte ich zu erwidern, »Aber ich hatte mir immer vorgestellt, daß Engel Flügel hätten.«
»Mein Chott! Flügel!« rief er höchst ergrimmt. »Was chehen mich Flügel an! Sie s-chainen mich wohl für ein Küken zu halten!«
»O nein! nein!« erwiderte ich besänftigend, »Sie sind kein Küken – gewiß nicht!«
»Das wollte ich auch
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