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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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chemaint haben! Aber nun betragen Sie sich chut, sonst chebe ich Ihnen noch eine ins Chesicht. Das Küken hat Flügel und die Eule hat Flügel und die bösen Chaister haben Flügel und der chroße Teufel hat Flügel. Engel haben keine Flügel, und ich bin der Engel des Wunderlichen.«
    »Und die Angelegenheit, um derentwillen Sie mich aufsuchen …«
    »Meine Anchelegenheit?« schrie das gräßliche Subjekt, »himmlischer Vater, was fürn s-chlecht erzogener Mens-ch müssen Sie sain, daß Sie einen S-chentleman und einen Engel nach seinen An-chelegenheiten fragen können!«
    Diese Sprache durfte ich mir nicht bieten lassen, selbst nicht von einem Engel; ich nahm al meinen Mut zusammen, ergriff ein Salzfäßchen, das in meinem Bereich stand, und schleuderte es dem Eindringling an den Kopf. Aber er wich aus oder ich hatte schlecht gezielt, kurz: die einzige Wirkung des Geschosses war die, daß es das Glas der Pendeluhr auf dem Kamin zertrümmerte. Der Engel jedoch hatte meine Absicht verstanden und erwiderte meinen Angriff durch zwei oder drei kräftige Schläge von der Art des ersten. Sie bestimmten mich, sofort unterwürfig zu sein; und ich muß mit Beschämung gestehen, daß mir, sei es aus Schmerz oder Zorn, einige Tränen in die Augen kamen.
    »Main Chott!« sagte der Engel des Wunderlichen, offenbar durch meine Traurigkeit besänftigt, »der arme Mann ist entweder chanz betrunken oder sehr traurig. Sie müssen den Wain auch nich so stark chenießen, Sie müssen ihm ein bißchen Wasser zusetzen. Hier, trinken Sie mal das, chuter Burs-che, und wainen Sie nich mehr, hören Sie, wainen Sie nich mehr!«
    Gleichzeitig füllte der Engel des Wunderlichen mein Glas, das zum Drittel Portwein enthielt, mit einer farblosen Flüssigkeit, die er aus einer der Flaschen, die seine Arme vorstellten, fließen ließ. Ich bemerkte, daß die Flaschen Etiquetten und die Etiquetten die Inschrift  trugen.
    Diese liebenswürdige Aufmerksamkeit des Engels besänftigte mich; und mit Hilfe des ›Wassers‹, mit dem er noch verschiedene Male meinen Wein versetzte, fand ich die genügende Ruhe wieder, um seinen höchst seltsamen Reden zu lauschen. Ich beabsichtige nicht, alles wiederzuerzählen, was er mir mitteilte, doch blieb mir noch im Gedächtnis, daß er behauptete, er sei der Genius, der über alle ›unangenehmen Zwischenfälle‹ der Menschheit herrsche, und es sei seine Aufgabe, jene ›wunderlichen Begebenheiten‹ zu veranlassen, die den Skeptiker fortwährend in Erstaunen setzen. Ein- oder zweimal, als ich wagte, seinen Behauptungen gegenüber meinem vollständigen Unglauben Ausdruck zu verleihen, wurde er so wütend, daß ich es für weiser hielt, nichts mehr zu sagen, und ihn ruhig gewähren ließ.
    Er sprach denn auch noch lange weiter, während ich, in den Stuhl zurückgelehnt, die Augen schloß und mich damit amüsierte, Traubenrosinen zu kauen und die Kerne durch das Zimmer zu flitzen. Der Engel jedoch faßte wohl schließlich dieses Betragen als eine Beleidigung auf. Er erhob sich in fürchterlichem Grimm, zog den Trichterhut vollständig über die Augen, fluchte irgendeinen grandiosen Fluch, stieß eine noch grandiosere Drohung aus, die ich nicht recht verstand, machte mir eine tiefe Verbeugung und verließ mich, indem er mir in der Art des Erzbischofs im Gil Blas ›beaucoup de bonheur et un peu plus de bon sens‹ wünschte.
    Ich empfand sein Weggehen als eine wahre Erleichterung. Die paar Gläser Lafitte, die ich in kleinen Schlücken getrunken, hatten mich ein wenig schläfrig gemacht und das Bedürfnis nach dem gewohnten Nachmittagsschlummer von fünfzehn oder zwanzig Minuten in mir erregt. Um sechs Uhr hatte ich eine wichtige Verabredung, die ich keinesfalls versäumen durfte. Meine Feuerversicherungspolice war nämlich am Tage zuvor abgelaufen: und da irgendeine Änderung nötig geworden, hatten wir abgemacht, daß ich um sechs Uhr bei dem Direktorium der Gesellschaft erscheinen solle, um die Form einer neuen Police festzusetzen. Als ich nach der Uhr auf dem Kamin blinzelte (ich war zu schläfrig, meine Taschenuhr zu ziehen), bemerkte ich mit Vergnügen, daß ich noch gerade fünfundzwanzig Minuten für mich hatte. Es war halb sechs. In fünf Minuten konnte ich bequem das Bureau der Feuerversicherungsgesellschaft erreichen.
    Meine übliche Siesta hatte noch nie die Dauer von fünfundzwanzig Minuten überschritten. Ich fühlte mich also vollständig beruhigt und schickte mich zu

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