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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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meinem Schläfchen an.
    Als ich wieder erwachte, blickte ich auf die Uhr und war fast geneigt, an ›wunderliche Begebenheiten‹ zu glauben, als ich sah, daß ich statt meiner gewohnten fünfzehn oder zwanzig Minuten nur drei geschlafen hatte. Ich überließ mich von neuem der Ruhe, und als ich ein zweites Mal erwachte, sah ich mit größter Verwunderung, daß es noch immer siebenundzwanzig Minuten vor sechs war.
    Ich sprang auf, um die Uhr zu untersuchen, und bemerkte, daß sie stehen geblieben war. Meine Taschenuhr zeigte halb acht. Ich hatte zwei Stunden geschlafen; für die Verabredung war es natürlich zu spät geworden.
    »Na – es wird wohl nichts auf sich haben!« sagte ich mir. »Ich werde morgen auf das Bureau gehen und mich entschuldigen. Aber was mag denn nur mit der Uhr geschehen sein?«
    Ich betrachtete sie genauer und entdeckte, daß einer der Rosinenkerne, die ich durch das Zimmer geschnellt, als der Engel des Wunderlichen seine Rede hielt, hinter das zerbrochene Glas gedrungen war, und sich so in dem Schlüsselloch festgesetzt hatte, daß ein Ende hervorragte und die Umdrehung des Minutenzeigers aufhielt.
    »Aha,« sagte ich, »ich sehe schon, was es ist: etwas ganz Selbstverständliches, eine natürliche Begebenheit, wie sie hin und wieder vorzukommen pflegt.«
    Ich legte der Sache denn auch weiter keine Bedeutung bei und begab mich zur gewohnten Stunde zu Bett. Nachdem ich eine Kerze auf dem Nachttisch entzündet und den Versuch gemacht hatte, ein paar Seiten über ›Die Allgegenwärtigkeit der Gottheit‹ zu lesen, fiel ich unglücklicherweise in weniger als zwanzig Sekunden in Schlaf und ließ das Licht brennen.
    Meine Träume wurden durch die Erscheinung des Engels des Wunderlichen schrecklich beunruhigt. Es kam mir vor, als stände er am Fußende des Bettes, zöge die Vorhänge zurück und drohte mir mit den hohlen, abscheulichen Tönen eines Rumfasses bittere Rache an für die Nichtachtung, mit der ich ihn behandelt habe. Er schloß seine lange Ansprache, indem er seinen Trichterhut abnahm, mir die Röhre in die Kehle steckte und mich mit einem Ozean von Kirschwasser überschwemmte, das er in endlosen Fluten aus einer der langhalsigen Flaschen ergoß, die ihm als Arme dienten. Meine Todesangst wurde unerträglich, und ich erwachte gerade in dem Augenblick, als eine Ratte die brennende Kerze von dem Tischchen riß und mit ihr davonfloh. Doch konnte ich nicht mehr verhindern, daß sie sich mit ihrem Raube in ihr Loch flüchtete. Gleich darauf drang ein starker, erstickender Geruch in meine Nase, und ich mußte mit Schrecken bemerken, daß das Zimmer brannte.
    In einer ganz unglaublich kurzen Zeit war das ganze Gebäude in Flammen gehüllt. Jeder Ausgang aus meinem Schlafgemach, ausgenommen der durch das Fenster, war versperrt. Die Menge auf der Straße jedoch verschaffte sich schnell eine lange Leiter und legte sie an das Fenster an. Ich stieg hinunter und glaubte mich schon gerettet, als ein riesiges Schwein, dessen kugelrunder Wanst, ja, dessen ganze Physiognomie und Erscheinung mich durch irgend etwas an den Engel des Wunderlichen erinnerte – als sich dieses Schwein, das bis jetzt ruhig in seinem Morast geschlummert hatte, plötzlich in den Kopf setzte, seine linke Schulter müßte ein wenig gekrauet werden, und keinen für den Zweck besser geeigneten Gegenstand finden zu können glaubte, als den Fuß meiner Leiter. Ich stürzte hinab und hatte das Unglück, einen Arm zu brechen.
    Dieser Unfall, sowie der Verlust der Versicherungssumme und der schwerwiegendere Verlust meiner Haare, die das Feuer versengt hatte, machten mich zu einem ernsten Menschen, so daß ich mich entschloß, eine Frau zu nehmen.
    Es gab da eine reiche Witwe, die in Trostlosigkeit den Tod ihres siebenten Gatten beweinte – ihrer siebenmal wunden Seele bot ich den Balsam meiner Schwüre an. Nicht ohne keusches Zögern gewährte sie meinen Bitten Gehör. Ich kniete in Dankbarkeit und Anbetung zu ihren Füßen. Sie errötete, und ihre üppige Lockenfülle näherte sich mir so, daß sie in Berührung mit derjenigen kam, die mir die Kunst meines Friseurs für einige Zeit verliehen. Ich weiß nicht, wie es geschah – jedenfalls geschah es: Ich erhob mich ohne Perücke, mit glänzender Platte. Sie voll Verachtung und Zorn, halb in fremden Haarschmuck gehüllt. So endeten meine Hoffnungen – durch einen Unfall, den ich nicht ahnen konnte und der doch nur die natürliche Folge der Ereignisse war.
    Ich verzweifelte aber

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