Erzählungen
nicht, sondern unternahm die Belagerung eines anderen Herzens. Diesmal war mir das Schicksal eine Zeitlang gewogen; und doch kreuzte zum zweiten Male ein lächerlicher Zwischenfall meine Pläne. Ich traf meine Braut an einem Orte, an dem sich die Elite der Stadt zusammenfand, und wollte mich gerade beeilen, ihr meine respektvollste Begrüßung zu Füßen zu legen, als irgendein kleiner Fremdkörper in die rechte Ecke meines linken Auges geriet und mich für den Augenblick vollständig blind machte. Ehe ich wieder aufblicken konnte, war die Dame meines Herzens verschwunden – beleidigt, daß ich vorübergegangen, ohne sie zu grüßen; sie beliebte das wahrscheinlich als eine überlegte Grobheit auszudeuten!
Während ich noch ganz verblüfft über diesen Zwischenfall stehen blieb (der übrigens jedem unter der Sonne hätte passieren können) und noch immer nicht sehen konnte, wurde ich von dem Engel des Wunderlichen angeredet, der mir seine Hilfe mit einer Höflichkeit anbot, die ich keineswegs von ihm zu erwarten das Recht hatte. Er untersuchte mein verletztes Auge voll Sanftmut und Geschicklichkeit, belehrte mich, daß ich einen Tropfen im Auge habe, und (von welcher Beschaffenheit dieser ›Tropfen‹ auch war) er entfernte ihn und verschaffte mir dadurch sofort eine große Erleichterung.
Da das Schicksal offenbar beschlossen hatte, mich nur zu quälen, schien es mir die höchste Zeit, zu sterben, und ich richtete schleunigst meine Schritte nach dem nächsten Flusse. Dort entledigte ich mich meiner Kleider (denn es ist kein Grund vorhanden, weshalb wir nicht so sterben sollten, wie wir geboren werden) und warf mich der Länge nach ins Wasser. Der einzige Zeuge meines Unterganges war ein alter Rabe, der zuviel in Branntwein geweichtes Korn gefuttert hatte; davon war er betrunken geworden und hatte sich von seinen Kameraden getrennt.
Kaum war ich im Wasser angelangt, als es diesem Tiere einfiel, mit dem unerläßlichsten Teile meines Anzuges hinwegzufliegen. Ich schob meine selbstmörderische Absicht infolgedessen noch etwas auf, stieg wieder ans Ufer, glitt mit meinen unteren Extremitäten in die Ärmel meines Rockes und nahm die Verfolgung des Schurken auf; und zwar mit der ganzen Lebhaftigkeit, die der Fall erforderte und die Umstände gestatteten. Aber mein böses Geschick ließ noch nicht von mir ab. Als ich so in vollster Eile lief, die Nase in der Luft, meine ganze Aufmerksamkeit auf den Räuber meines Eigentums gerichtet, bemerkte ich plötzlich, daß meine Füße keinen festen Boden mehr faßten: ich war nämlich in einen Abgrund gelaufen und wäre unfehlbar zu Tode gestürzt, hätte ich nicht zum Glück ein langes Tau ergriffen, das von einem gerade vorübersegelnden Luftballon herabhing.
Sobald sich meine Sinne soweit erholt hatten, um meine schreckliche Lage oder vielmehr mein schreckliches Hängen erkennen zu können, wandte ich meine ganze Lungenkraft an, dieses Hängen dem Luftschiffer über mir bemerklich zu machen. Eine Zeitlang strengte ich mich vergebens an. Entweder sah mich der Dummkopf oben nicht, oder der Schuft wol te mich nicht sehen. Der Ballon stieg rapide, und meine Kräfte sanken noch rapider. Ich wollte mich schon in mein Schicksal ergeben und mich ruhig fallen lassen, als mein Mut plötzlich wieder durch den Ton einer hohlen Stimme belebt wurde, die von oben kam und in aller Gemütsruhe eine Opernmelodie summte. Ich blickte empor und bemerkte den Engel des Wunderlichen. Er lehnte mit gekreuzten Armen über den Rand der Gondel; und mit der Pfeife im Munde, aus der er gemächlich Rauchwolken blies, machte er den Eindruck, als sei er in bestem Einvernehmen mit sich selbst und dem ganzen Weltall. Ich war zu erschöpft, um reden zu können, und sandte nur einen flehenden Blick zu ihm hinauf.
Einige Minuten lang sagte er nichts, obwohl er mir voll ins Gesicht sah. Dann endlich, nachdem er sorgfältig seinen Meerschaum von dem rechten in den linken Mundwinkel geschoben hatte, ließ er sich zum Sprechen herab.
»Wer sind Sie aichentlich?« fragte er, »und was, zum Teufel, wünschen Sie?«
Auf dieses Zeichen grenzenlosester Unverschämtheit, Grausamkeit und Verstellung konnte ich nur mit dem einen flehentlichen Worte »Hilfe!« antworten.
»Sie wüns-chen Hilfe?« fragte der Kirschwassermann. »Hoffentlich nicht von mir. Da haben Sie eine Flas-che – helfen Sie sich selbst und s-cheren Sie sich zum Teufel.«
Bei diesen Worten warf er mir eine große Flasche Kirschwasser zu, die mir
Weitere Kostenlose Bücher