Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
bemühte er sich, den übrigen Freunden Herrn Schüttelwerts auszureden, schon jetzt Nachforschungen anzustellen, da es ihm das Beste scheine, noch etwas damit zu warten – sagen wir mal, ein oder zwei Wochen oder ein oder zwei Monate –, man könne ja fürs erste abwarten, ob nicht von selbst etwas herauskäme oder ob nicht vielleicht Herr Schüttelwert selbst wiederkäme und die Gründe auseinanderlegte, die ihn bewogen hätten, sein Pferd in diesem Zustande heimzuschicken. Sie haben wohl selbst oft bei Leuten, die ein recht schwerer Kummer niederdrückt, diese Neigung zum Aufschieben und Zeitnehmen bemerkt. Ihre Geisteskräfte scheinen ganz erschlafft zu sein, so daß sie einen Abscheu davor haben, irgendwie handelnd vorzugehen, und am allerliebsten ruhig in ihrem Bette liegen und ›ihren Kummer nähren‹, wie die alten Damen sich ausdrükken, das heißt: über ihre Traurigkeit unaufhörlich nachgrübeln.
    Die Leute von Rattelburg aber hatten eine so hohe Meinung von der Weisheit und der Umsicht des alten Karlchen, daß die meisten geneigt waren, ihm zuzustimmen und keine weiteren Nachforschungen anzustellen, ›bis von selbst etwas herauskäme‹, wie der alte, ehrliche Herr sich ausgedrückt hatte; und ich glaube, am Ende würde man wohl al gemein bei diesem Entschlusse geblieben sein, wenn nicht Herrn Schüttelwerts Neffe, ein junger Mann von ziemlich leichtfertigen Gewohnheiten und auch sonst schlechtem Charakter, in verdächtiger Weise dagegengeredet hätte. Dieser Neffe, ein Herr Pfennigfeder, wol te nichts von Aufschieben hören und bestand hartnäckig darauf, sofort Nachforschungen nach dem ›Leichnam des ermordeten Mannes‹ anstellen zu lassen. Diesen Ausdruck wandte er an; und Herr Biedermann bemerkte sofort, daß das, gelinde gesagt, ein sehr sonder barer Ausdruck gewesen sei, und diese Bemerkung des alten Karlchen übte ebenfal s eine große Wirkung auf die Menge aus, und man hörte jemanden recht nachdrücklich fragen: wie es komme, daß dem jungen Herrn Pfennigfeder die Umstände, die mit dem Verschwinden seines reichen Onkels zusammenhingen, so genau bekannt seien, daß er sich berechtigt fühle, deutlich und unzweideutig zu behaupten, sein Onkel  sei ein ›ermordeter Mann‹. Hierauf fielen in der Menge und besonders zwischen dem alten Karlchen und Herrn Pfennigfeder ein paar spitze Bemerkungen. Dies letztere war absolut nichts Neues, denn seit drei oder vier Monaten lebten die beiden auf gespanntestem Fuße miteinander. Es war sogar so weit gekommen, daß Herr Pfennigfeder den Freund seines Onkels in dessen Hause, in dem er selbst auch wohnte, zu Boden geschlagen hatte, weil er sich dort zu große Frechheiten gestattet haben sol te. Wie es hieß, hatte sich das alte Karlchen bei dieser Gelegenheit durch außerordentliche Mäßigung und christliche Liebe ausgezeichnet.
    Er erhob sich nach dem Schlag, ordnete seine Kleider wieder, machte jedoch nicht den geringsten Versuch, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er murmelte nur etwas von »summarischer Rache bei der nächsten passenden Gelegenheit« – aber das war wohl nur eine sehr natürliche und leicht entschuldbare Äußerung seines gerechten Zornes, die nichts auf sich hatte und sofort wieder vergessen worden war.
    Wie dem nun aber auch sei, für unsere Geschichte hat es nichts zu sagen, – jedenfalls kamen die Leute von Rattelburg, hauptsächlich durch die überzeugende Beredsamkeit des Herrn Pfennigfeder, endlich zu dem Entschlusse, die Umgegend zu durchstreifen, um eine Nachsuche nach dem vermißten Herrn Schüttelwert abzuhalten. Ich sage also, sie kamen im allgemeinen zu diesem Entschlusse.
    Und nachdem sie ihn einmal gefaßt hatten, nahm man es als ganz selbstverständlich an, daß die Sucher sich in Trupps verteilen sollten, um die Gegend recht gründlich durchsuchen zu können. Ich erinnere mich jedoch nicht mehr, durch welche scharfsinnige Logik das alte Karlchen die Versammlung überzeugte, dies sei das Unklugste, was man tun könne. Jedenfalls überzeugte er alle – Herrn Pfennigfeder ausgenommen –, daß es das beste sei, wenn die Bürger en masse eine sorgfältige und gründliche Nachsuchung anstellten; er selbst, das alte Karlchen, wollte den Zug anführen.
    Man konnte sich in der Tat, wie schon eingangs erwähnt, keinen besseren Pionier bei diesen Nachforschungen denken als Herrn Biedermann. Jeder wußte, daß er ein Luchsauge hatte; aber, obgleich er die guten Rattelburger in zahlreiche abgelegene Löcher und Winkel

Weitere Kostenlose Bücher