Erzählungen
Biedermann‹ oder ›altes Karlchen‹ Biedermann. Mag man es nun für ein wunderbares Zusammentreffen halten, oder mag der Name selbst einen unbemerkbaren Einfluß auf den Charakter seines Trägers ausüben, jedenfalls steht fest, daß es noch nie eine Person mit Vornamen ›Karl‹ gegeben, die nicht offenherzig, mannhaft, ehrlich und gutmütig gewesen, die nicht eine volle, klare, wohltuende Stimme gehabt und ein Auge, das einem stets gerade ins Gesicht geschaut, als wollte es sagen: ›Ich habe ein gutes Gewissen; ich fürchte niemanden und bin keiner niederen Handlung fähig.‹ Und deshalb werden wohl auch in Zukunft alle sorglosen, herzlichen Herren, die gemütvoll auf der Weltbühne herumspazieren, Karl genannt werden müssen.
Dem alten Karlchen Biedermann war es denn auch gar nicht schwer gefallen, die Bekanntschaft aller ehrenwerten Leute des Flekkens zu machen, obwohl er sich erst seit ungefähr sechs Monaten in Rattelburg aufhielt und ganz fremd dorthin gekommen war. Da war nicht einer, dem ein Wort von ihm nicht wie tausend gewesen wäre; und was gar die Frauen anbetrifft, so läßt sich überhaupt nicht sagen, was sie alles getan hätten, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Und dies alles, weil er ›Karl‹ getauft worden war und mithin jenes offene Gesicht besaß, das, wie das Sprichwort sagt, ›der beste Empfehlungsbrief‹ ist.
Ich habe schon erwähnt, daß Herr Schüttelwert einer der angesehensten und zweifellos der reichsten Einwohner von Rattelburg war.
Das alte Karlchen Biedermann stand auf so vertrautem Fuße mit ihm, daß man sie für Brüder hätte halten können. Die beiden alten Herrn waren Nachbarn, und obgleich Herr Schüttelwert das alte Karlchen sehr selten oder vielleicht nie besuchte und, wie jedermann wußte, nie bei ihm speiste, hinderte dies die beiden Freunde doch nicht, außerordentlich intim miteinander zu sein, denn das alte Karlchen ließ keinen Tag vorübergehen, ohne sich drei- oder viermal nach dem Befinden seines Nachbarn zu erkundigen. Häufig blieb er dann gleich zum Frühstück oder zum Tee da und sein Mittagmahl nahm er fast täglich bei Herrn Schüttelwert ein. Wieviel Wein die beiden Tischgenossen dann jedesmal vertilgten, würde nur sehr schwer zu bestimmen sein. Des alten Karlchens Lieblingsgetränk war Château Margaux, und es schien Herrn Schüttelwerts Herzen wirklich gut zu tun, wenn er sah, wie der alte Knabe behaglich ein Glas nach dem anderen schlürfte, so daß er eines Tages, als der Wein drinnen war und natürlicherweise den Witz nach außen trieb, seinem alten Freunde auf den Buckel klopfte und sagte: »Weißt du was, altes Karlchen? Du bist wahrhaftigen Gott der famoseste alte Kerl, den ich mein Lebtag getroffen; und da du nun so gern ein bißchen schlemmst, soll mich der Geier holen, wenn ich dir nicht eine ganz große Kiste Château Margaux verehre. Ich will des Teufels sein (Herr Schüttelwert hatte leider die betrübliche Angewohnheit, zu fluchen, obwohl er nur selten über ›Ich will des Teufels sein!‹ oder ›Verflucht und zugenäht!‹ oder ›Hol mich der Kuckuck!‹ hinausging).«
»Ich will des Teufels sein,« sagte er also, »wenn ich nicht schon heute nachmittag in der Stadt eine doppelte Kiste vom Besten, der zu haben ist, für dich bestelle!
Kein Wort, mein Sohn, ich will es! Das ist abgemacht! Und nun paß auf! Eines schönen Morgens wird die Kiste ankommen, vielleicht gerade dann, wenn du sie am wenigsten erwartest!« Ich erwähne diesen kleinen Zug der Freigebigkeit des Herrn Schüttelwert nur, um Ihnen eine Vorstellung von der Vertraulichkeit zu geben, die zwischen den beiden Freunden herrschte.
Also an dem fraglichen Sonntagmorgen, als es nicht mehr länger zweifelhaft sein konnte, daß Herrn Schüttelwert irgend etwas zugestoßen sei, sah ich niemanden so im Innersten beunruhigt und erschrocken wie das alte Karlchen Biedermann. Als er zuerst erfuhr, daß das Pferd ohne seinen Herrn und ohne seines Herrn Satteltasche zurückgekommen, ganz blutüberströmt von dem Pistolenschuß, der dem armen Tier durch und durch gegangen, ohne es zu töten, – als er das hörte, wurde er zuerst so bleich, als sei der Vermißte sein eigener, lieber Bruder oder sein Vater gewesen. Es überlief ihn, und er zitterte am ganzen Leibe, als habe er einen Anfall von kaltem Fieber.
Zuerst überwältigte ihn der Schmerz so sehr, daß er weder etwas tun, noch überhaupt den Plan fassen konnte, Licht in die Sache zu bringen; eine lange Zeit
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