Erzählungen
noch durch einige weitere belastende Aussagen verstärkte, wurde vollständig ausreichend befunden, die Schuldfrage zu bejahen; der Angeklagte wurde, ohne daß die Geschworenen auch nur ihre Sitze verließen, ›des vorsätzlichen Mordes‹ schuldig befunden. Darauf wurde dann über den Unglücklichen das Todesurteil ausgesprochen. Man brachte ihn in das Gefängnis zurück, bis die unerbittliche Rache des Gesetzes ihren Lauf nehmen sollte.
Das alte Karlchen hatte sich jedoch durch sein wahrhaft edelmütiges Betragen den Herzen der ehrlichen Bürger von Rattelburg nur noch teurer gemacht. Noch mehr als sonst wurde er ihr erklärter Liebling, und um die reichliche Gastfreundschaft, die man ihm erwies, wenigstens in etwas zu erwidern, war er, wie er einmal durchblicken ließ, gezwungen, die äußerst sparsamen Gewohnheiten, die ihm seine Armut bis jetzt auferlegt, daranzugeben. Er gab kleine Gesellschaften, bei denen es lustig herging, – nur wurde die Heiterkeit natürlicherweise hin und wieder ein wenig gedämpft, wenn man sich gelegentlich des widrigen, trüben Loses erinnerte, dem der Neffe des vielbetrauerten Busenfreundes des großherzigen Gastgebers entgegenging.
Eines schönen Tages wurde der alte, edelmütige Herr durch den Empfang des folgenden Briefes auf das angenehmste überrascht:
Herrn Karl Biedermann, Wohlgeboren,
Rattelburg,
von F. & Cie.
Chât. Mar. A – Nr. . – Dtz. Flaschen (/ Gros).
Herrn Karl Biedermann, Wohlgeboren:
Sehr geehrter Herr!
Infolge einer Bestellung, die unserer Firma vor etwa zwei Monaten durch unseren Geschäftsfreund Herrn Barnabas Schüttelwert gemacht wurde, haben wir die Ehre, heute morgen eine doppelte Kiste Château Margaux an Ihre Adresse abgehen zu lassen. Qualität Antilope. Violettes Siegel. Kiste numeriert und wie obenstehend markiert.
Wir verbleiben, sehr geehrter Herr,
Ihre ergebensten Diener
Stadt B., . Juni .
Frosch & Cie.
P.S. Die Kiste wird Ihnen einen Tag nach Empfang dieses per Fracht zugehen. Unsere Empfehlungen an Herrn Schüttelwert.
F. & Cie.
Seit dem Tode des Herrn Schüttelwert hatte Herr Biedermann jede Hoffnung aufgegeben, den versprochenen Château Margaux jemals zu bekommen, und sah die Sache jetzt fast wie eine Fügung der gütigen Vorsehung an. Er war im höchsten Grade entzückt und lud im Übermaß seiner Freude für den nächsten Abend eine große Gesellschaft ein, die ihm helfen sollte, das Geschenk des guten alten Herrn Schüttelwert seiner Bestimmung zu übergeben. Doch erwähnte er den ›guten alten Herrn Schüttelwert‹ bei seinen Einladungen mit keinem Worte. Er dachte viel darüber nach und kam zu dem Schlusse, daß es wirklich besser sei, nichts zu sagen. Also, wie gesagt, er erzählte nichts von einem Geschenk, sondern bat seine Freunde nur, ihm zu helfen, ein paar Flaschen ganz besonders guten Weines, den er schon vor ein paar Wochen in der Stadt bestellt habe und der morgen eintreffen müsse, austrinken zu helfen. Ich habe mich selbst oft gefragt, warum das alte Karlchen beschlossen habe, nicht zu sagen, daß es den Wein von seinem alten Freunde zum Geschenk erhalten. Ich konnte wirklich nicht klug daraus werden, obwohl mir einleuchtete, daß er jedenfal s einen wichtigen Grund zum Schweigen habe.
Der Abend kam und mit ihm eine hoch ehrenwerte Gesellschaft; das halbe Städtchen war im Hause des Herrn Biedermann erschienen – auch ich befand mich unter den Eingeladenen. Doch zum größten Verdrusse des Wirtes kam die Kiste Château Margaux erst an, als man dem leckeren Abendmahle schon alle Ehre angetan hatte: Es war eine ungeheuer große Kiste, – und da man bereits in ausgezeichneter Stimmung war, wurde unter allgemeinem Beifall beschlossen, sie auf die Tafel hinaufzuheben und dort ihres Inhaltes zu entledigen.
Gesagt, getan. Ich half mit, und im Nu stand die Kiste auf dem Tische, mitten zwischen Flaschen und Gläsern, denen dabei bös mitgespielt wurde. Das alte Karlchen, das schon ziemlich angeheitert und puterrot im Gesichte war, setzte sich mit einer Miene komischer Würde an die Spitze der Tafel, schlug wie ein Besessener mit einer festen Karaffe auf den Tisch und befahl jedermann, sich ruhig zu verhalten, »bis der Schatz gehoben sei«.
Das Lachen und Schreien dauerte noch ein wenig an, endlich wurde es ruhig, ja, wie es bei dergleichen Gelegenheiten oft geschieht, – es trat Totenstille ein. Man forderte mich auf, den Deckel zu öffnen, und ich kam diesem Wunsche
Weitere Kostenlose Bücher