Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
politischen Überzeugungen:
    ich handelte als Anhänger der betreffenden hohen Dame. Achtzehn Monate lang hatte der Minister sie in der Gewalt. Jetzt hat sie ihn in der ihrigen, denn da er nicht weiß, daß sich der Brief nicht mehr in seinem Besitz befindet, wird er fortfahren, sich so zu benehmen, als besitze er ihn noch. Auf diese Weise wird er selbst an seiner politischen Vernichtung arbeiten. Sein Sturz wird ein ebenso ungeschickter wie plötzlicher sein. Man mag, so viel man will, über das facilis descensus Averni reden, aber bei jeder Art von Emporkommen gilt, was die Catalani vom Singen sagte: es ist viel leichter hinaufzukommen als hinunter. In unserem Fall habe ich keine Teilnahme, kein Mitgefühl für den Stürzenden. Er ist ein monstrum horrendum, ein genialer Mensch ohne Grundsätze. Ich muß jedoch gestehen, daß ich sehr gern seine Gedanken lesen möchte, wenn ihm diejenige, die der Präfekt eine ›gewisse Person‹ nennt, Trotz bietet und er sich genötigt sieht, den Brief zu öffnen, den ich in dem Kartenhalter versteckt habe.«
    »Wieso? Schrieben Sie etwas Besonderes hinein?«
    »Natürlich – es schien mir nicht recht zu sein, das Innere ganz unbeschrieben zu lassen – das hätte ja wie Beleidigung ausgesehen. D. spielte mir einstmals in Wien einen bösen Streich, und ich versprach scherzhaft, ihm diesen zu vergelten. Deshalb wollte ich es ihm nicht ersparen, die Person, die ihn so überlistet hatte, kennenzulernen. Er kennt meine Handschrift sehr gut, deshalb schrieb ich mitten auf das weiße Blatt die Worte:
    … Un dessein si funeste, S'il n'est digne d'Atrée, est digne de Thyeste

    Sie stehen in Crébillons Atrée .«

DIE TAUSENDUNDZWEITE ERZÄHLUNG DER SCHEHERAZADE
    The Thousand-and-Second Tale of Scheherazade ()
    Wahrheit ist seltsamer als Dichtung. (Alte Redensart)

    Jüngst geriet mir, bei zufälligem Studium der orientalischen Literatur, ein bemerkenswertes Buch in die Hand, das Sagmirnun Istssoodernicht , das nach meinem Wissen noch nie citiert wurde und überhaupt ziemlich unbekannt ist. Kaum hatte ich einige Seiten in dem merkwürdigen Werke gelesen, da mußte ich mit Erstaunen erkennen, daß die literarische Welt über das Schicksal der Scheherazade bis jetzt in einem Irrtum befangen gewesen. Denn die Erzählung, die uns Tausend und  eine Nacht gibt, ist, wenn nicht direkt falsch, soweit sie überhaupt geht, doch keinesfalls so vollständig, wie es wünschenswert wäre.
    Will sich nun jemand über diesen interessanten Punkt genau unterrichten, so verweise ich ihn hiermit auf Istssoodernicht und gestatte mir mittlerweile einen allgemeinen Umriß meiner Entdeckung zu geben.
    Die bekannte Lesart der Geschichten lautet, wie jeder weiß, daß ein gewisser Monarch, der alle Ursache hatte, auf seine Frau Königin eifersüchtig zu sein, dieselbe nicht nur erdrosseln ließ, sondern auch bei seinem Barte und dem Propheten schwor, jede Nacht das schönste Mädchen seines Reiches zur Gattin zu nehmen und am folgenden Morgen in die Hände des Henkers zu geben.
    Nachdem er nun viele Jahre hindurch dieses Gelübde buchstäblich und mit einer fast ritualen Pünktlichkeit erfüllt hatte, die seine Gottseligkeit im hellsten Lichte zeigte, wurde er eines schönen Nachmittags (wahrscheinlich im Gebete) durch den Besuch seines Großveziers abberufen, dessen Tochter einen allem Anschein nach guten Gedanken gefaßt hatte.
    Ihr Name war Scheherazade und ihr Gedanke der: entweder das Land von jener entvölkernden Schönheitsteuer zu befreien oder wie eine Heldin bei dem Versuche unterzugehen. Sie überredete also ihren Vater, den Großvezier, dem Könige ihre Hand anzubieten, trotzdem das Jahr kein Schaltjahr war und somit die Möglichkeit nicht bestand, daß sich der Monarch von der Erfüllung seines Gelübdes einmal ›drückte‹. Derselbe hatte im übrigen nichts Eiligeres zu tun, als diese Hand anzunehmen, denn es war schon längst seine Absicht gewesen, sich schließlich auch Fräulein Scheherazade zu verschaffen; und nur die Furcht vor dem Großvezier hatte ihn bis jetzt davon zurückgehalten. Doch erklärte er in nicht mißzuverstehender Weise, daß, Großvezier oder nicht Großvezier, niemand ein Recht habe, zu hoffen, er würde sich auch nur ein Jota an seinem Gelübde oder seinen Privilegien schmälern lassen. Als desungeachtet die schöne Scheherazade darauf bestand, des Königs Gattin zu werden, und es auch wirklich wurde trotz des guten, warnenden Rates ihres Vaters – ich

Weitere Kostenlose Bücher