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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Zeit, während welcher Sie Ihrem Aussehen nach in Asphalt gelegen haben müssen.«
    »Worin?« fragte der Graf.
    »In Asphalt,« wiederholte Herr Buckingham.
    »Ja so, ich habe eine undeutliche Vorstellung von dem, was Sie meinen. Zu meiner Zeit jedoch wurde kaum etwas anderes verwandt, als Ätz-Sublimat.«
    »Wir können nicht im mindesten begreifen,« nahm nun Doktor Ponnonner das Wort, »wie es kommt, daß Sie in Ägypten seit fünftausend Jahren tot und begraben sind und heute hier lebendig und wohl aussehend vor uns stehen.«
    »Wäre ich, wie Sie es nennen, tot gewesen, so würde ich es höchstwahrscheinlich heute noch sein. Wie ich bemerkte, befinden Sie sich in den Anfangsgründen der Wissenschaft vom Galvanismus und wissen noch nicht so gut mit ihm umzugehen, wie es zu meiner Zeit geschah. Also ich verfiel in Starrkrampf, meine besten Freunde waren der Meinung, ich sei tot oder müsse es wenigstens sein, und balsamierten mich ein. Ich vermute, daß Ihnen die hauptsächlichsten Regeln, nach denen man bei diesen Einbalsamierungen verfuhr, bekannt sind …«
    »Nicht vollständig …«
    »Ah! welch beklagenswerte Unwissenheit! Doch kann ich mich jetzt auf Einzelheiten nicht einlassen. Kurz nur dies: die eigentliche Einbalsamierung bestand darin, al e zum Lebensprozesse unentbehrlichen animalischen Funktionen auf unbegrenzte Zeit hin in Stillstand zu versetzen. Ich gebrauche hier das Wort ›animalisch‹ in seiner weitesten Bedeutung und bezeichne mit demselben sowohl das moralische wie vitale Dasein. Ich wiederhole also, daß das leitende Prinzip der Einbalsamierung bei uns darin bestand, alle zum Lebensprozeß nötigen animalischen Funktionen plötzlich zum Stillstand zu bringen, aber dabei doch in fortwährender Spannung zu erhalten.
    Kurz, das Individuum blieb in eben dem Zustande, in dem es sich befand, als es einbalsamiert wurde. Da ich nun das Glück habe, aus dem Blute des Scarabaeus zu stammen, wurde ich, genau wie Sie mich jetzt sehen, lebendig einbalsamiert.«
    »Aus dem Blute des Scarabaeus!« rief Doktor Ponnonner.
    »Jawohl! Der Scarabaeus war das Abzeichen oder das Wappen einer sehr vornehmen Patrizierfamilie, und ›aus dem Blute des Scarabaeus stammen‹ heißt weiter nichts, als ein Mitglied jener Familie sein, welche den Scarabaeus im Wappen führt. Ich sprach vorhin bildlich.«
    »Aber dies alles erklärt doch nicht, daß Sie noch am Leben sind.«
    »In gewissem Sinne doch. Im allgemeinen ist es in Ägypten Sitte, den Leichnam vor der Einbalsamierung seines Gehirnes und seiner Eingeweide zu berauben, nur das Geschlecht des Scarabaeus fügte sich dieser Sitte nicht. Wäre ich kein Scarabaeus gewesen, so hätte ich weder meine Eingeweide noch mein Gehirn behalten – und es läßt sich bekanntlich weder ohne das eine noch das andere leben.«
    »Das begreife ich«, sagte Herr Silk Buckingham, »und vermute, daß alle vollständigen Mumien, die zu uns gelangen, aus dem Geschlecht des Scarabaeus sind.«
    »Sehr richtig!«
    »Ich glaubte,« sagte Herr Gliddon ziemlich kleinlaut, »der Scarabaeus sei eine der ägyptischen Gottheiten gewesen.«
    »Eine der ägyptischen … was?« rief die Mumie und sprang auf.
    »Gottheiten,« wiederholte der Altertumsforscher.
    »Herr Gliddon,« sagte der Graf und nahm wieder Platz, »ich bin wirklich höchst erstaunt, Sie solchen Unsinn schwatzen zu hören.
    Kein Volk auf der ganzen Erde hat jemals mehr als eine Gottheit anerkannt. Der Scarabaeus, der Ibis waren bei uns, wie ähnliche Tiere bei anderen Völkern, nur Symbole, nur Medien, durch die wir dem Schöpfer aller Dinge, der zu erhaben ist, als daß man sich unmittelbar an ihn wenden dürfte, unsere Verehrung darbrachten.«
    Hierauf entstand eine Pause, bis Doktor Ponnonner die Unterhaltung wieder begann.
    »Nach Ihren Erklärungen zu schließen,« sagte er, »ist es also nicht unwahrscheinlich, daß sich in den Katakomben unweit des Nils noch andere Mumien aus dem Geschlechte des Scarabaeus befinden, die man wieder ins Leben zurückrufen könnte?«
    »Daran ist gar nicht zu zweifeln,« erwiderte der Graf. »Alle aus diesem Geschlechte, die durch irgendeinen Zufall lebendig einbalsamiert worden sind, sind wohl auch lebendig geblieben. Es ist sogar immerhin möglich, daß einige von denen, die absichtlich so einbalsamiert worden sind, später von ihren Testamentsvollstreckern übersehen wurden und sich noch in den Gräbern befinden.«
    »Wären Sie so liebenswürdig, mir zu erklären,« sagte ich, »was Sie

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