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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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altägyptischer Sprache geführt wurde, und zwar dienten mir und den anderen Herren aus der Gesellschaft, die diese Sprache nicht kannten, die Herren Gliddon und Buckingham als Dolmetscher. Sie beherrschten nämlich die Muttersprache der Mumie mit unnachahmlicher Gewandtheit und Grazie, doch bemerkte ich ein paarmal, daß sie, wahrscheinlich bei Verwendung moderner Bilder, die dem Fremdling natürlich unbekannt waren, zu gröberen Mitteln als Worten greifen mußten, um sich verständlich zu machen.
    Herr Gliddon wollte es zum Beispiel in einem Satze nicht gelingen, dem Ägypter den Sinn des Wortes ›Politik‹ mitzuteilen, bis er mit einem Stück Kreide auf der Wand einen kleinen Herrn hinzeichnete.
    Der stand auf einem Baumstumpf, hatte eine dicke, feuerrote Nase, die Hände in die Seite gestemmt, das linke Bein nach rückwärts gezogen, den rechten Arm mit geballter Faust gerade vor sich hingestreckt, und blickte mit rollenden Augen und sperrweit geöffnetem Munde zum Himmel auf. – Herr Silk Buckingham versuchte einmal vergeblich, ihm den allerdings durchaus modernen Begriff einer ›Perücke‹ verständlich zu machen, Doktor Ponnonner flüsterte ihm darauf etwas ins Ohr. Herr Silk Buckingham wurde blaß und nahm schweigend seine eigene Perücke vom Kopf.
    Herrn Gliddons Reden bezogen sich erklärlicherweise auf die wichtigen Erkenntnisse, welche der Wissenschaft aus dem Loswikkeln und Öffnen der Mumie erwachsen. Darauf bat er um Entschuldigung, wenn der hier anwesenden, Allamistakeo genannten Mumie, aus diesem Vorgehen Unannehmlichkeiten zugefügt worden seien, und schloß mit der Andeutung – anders konnte man es nicht nennen –, daß man nun, da diese unwichtigen Dinge erklärt seien, mit der beabsichtigten Untersuchung fortfahren wolle. Hierauf legte dann Doktor Ponnonner seine Instrumente in Bereitschaft.
    Die letzte Äußerung des Redners schien jedoch dem Herrn Allamistakeo gewisse Bedenken zu erregen, über deren Natur ich mir nicht recht klar wurde. Doch erklärte er, daß ihn die Entschuldigungen zufriedengestellt hätten, sprang vom Tische herunter und schüttelte jedem von uns herzlich die Hand.
    Als diese Zeremonie zu Ende war, beeilten wir uns, die Schäden, die unser Seziermesser seinem Äußern zugefügt hatte, wieder auszubessern. Die Wunde an der Schläfe wurde zusammengenäht, der Fuß verbunden und der Einschnitt auf der Nase mit einem zollbreiten Stück schwarzen Pflasters verklebt.
    Jetzt bemerkten wir, daß der Graf – dies war, wie es schien, der Titel Allamistakeos – von einem leichten Schauder befallen wurde, den wir nur der Kälte zuschreiben konnten. Der Doktor eilte an seinen Kleiderschrank und kam mit einem schwarzen Gehrock von modernstem Schnitt und einem Paar himmelblau karierter Beinkleider mit Hosenträgern zurück. Dann brachte er noch eine langschößige brokatene Weste, einen weißen Sackpaletot, einen Spazierstock mit riesigem Griff, einen Hut ohne Rand, ein paar tüchtige Lederschuhe, strohgelbe Glacéhandschuhe, eine Krawatte, ein Lorgnon und die zwei Teile eines Kotelettenbartes mit. Da der Graf und der Doktor jedoch von verschiedener Gestalt waren – sie verhielten sich zueinander wie zwei zu eins –, bereitete es einige Schwierigkeiten, den Ägypter mit den herbeigeschleppten Garderobenstücken zu bekleiden.
    Endlich jedoch war er in Toilette, Herr Gliddon bot ihm den Arm und führte ihn zu einem behaglichen Sitze am Kamin, während der Doktor klingelte und Wein und Zigarren holen ließ.
    Die Unterhaltung wurde bald sehr lebhaft, und man war, wie leicht begreiflich, neugierig, zu erfahren, wie es komme, daß Allamistakeo noch am Leben sei.
    »Man sollte annehmen,« bemerkte Herr Silk Buckingham, »es sei die höchste Zeit für Sie, tot zu sein.«
    »Weshalb?« erwiderte der Graf ganz erstaunt. »Ich bin eben siebenhundert Jahre alt geworden, mein Vater lebte tausend Jahre und war absolut noch nicht verkindischt, als er starb.«
    Nun entstand ein lebhaftes Kreuzfeuer von Fragen und Berechnungen, die es bald an den Tag brachten, daß man sich über das Alter der Mumie gröblich getäuscht hatte. Der Graf war vor fünftausendundfünfzig Jahren und einigen Monaten in den Katakomben von Eleithias beigesetzt worden.
    »Meine Bemerkung«, fing Herr Silk Buckingham wieder an, »sollte sich absolut nicht auf Ihr Alter zur Zeit Ihrer Bestattung beziehen. Ich gebe gern zu, daß Sie noch ein junger Mann sind. Meine Andeutung galt hauptsächlich der unermeßlich langen

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